Nach Sperrung der A100 bildet sich Ende März 2025 Stau in Westend. (Quelle: rbb)

Berlin "Wenn jetzt etwas knackt, und das wird passieren, haben wir ein richtiges Problem"

Stand: 31.03.2025 08:10 Uhr

Die Stadtautobahn war für Anwohner nahe dem Dreieck Funkturm schon immer eine komplizierte Nachbarin: laut, stinkend und immer etwas übergriffig. Seit die Ringbahnbrücke gesperrt wurde, hat sich die Lage im Kiez verschärft. Von Oda Tischewski

Vierzig Jahre lebt Karin Drong bereits in der "Sophie". An ihren Ohren ist die Zeit nicht spurlos vorübergegangen: "Bei Schwerhörigkeit steht ja immer nicht dran, woher sie kommt, aber wir haben sie mittlerweile alle – wir leben hier zu dritt", erzählt Drong, "ich gucke aus unserer Wohnung auf der einen Seite auf die Autobahn, habe den Lärm von dort, auf der anderen Seite auf die Sophie-Charlotten-Straße, habe den Lärm von dort." Und seit die Ringbahnbrücke am 19. März von einem Moment auf den anderen gesperrt werden musste, ist es in Karin Drongs Wohnung zur einen Seite zwar etwas leiser geworden – zur anderen aber umso lauter.

Wolfgang Neumann vom Kiezbündnis Klausener Platz (Bild: rbb/Oda Tischewski).

Wolfgang Neumann vom Kiezbündnis Klausener Platz.

Sophie-Charlotten-Straße, Königin-Elisabeth-Straße, selbst die zur Verkehrsberuhigung mit sogenannten "Berliner Kissen", einer speziellen Form von Bremsschwellen, ausgestattete Knobelsdorffstraße – sie alle sind quasi über Nacht zur Umleitung avanciert. Zwar wurden kurz nach der Sperrung der A100 einige Zufahrten von den Magistralen in Wohnstraßen geschlossen und ein Fahrstreifen der Stadtautobahn behelfsmäßig für den Autoverkehr nach Norden wieder geöffnet – allerdings nur für die Pkw-Fahrer.
 
Der Schwerlastverkehr zieht weiterhin durch die Kieze, auch vorbei am Schlafzimmerfenster von Wolfgang Neumann: "Ich schlafe eigentlich immer sehr gut, aber gestern früh, ab sechs Uhr, fuhr ein Lkw nach dem anderen hier durch. Und so viele, wie das waren, kann es nicht sein, dass die hier in den Kiez wollten, um jemanden zu beliefern – das waren Lkw, die hier gefahren sind, weil die Autobahn gesperrt ist."

Verkehrsbeeinträchtigungen durch marode Ringbahnbrücke im März 2025. (Quelle: rbb)

Der Autoverkehr wird durch Charlottenburger Kieze umgeleitet.

Täglich zehnmal mehr Verkehr als ursprünglich geplant

Die endlose Kolonne der Laster über 3,5 Tonnen, die die Behelfsspur nicht befahren dürfen, zieht sich nun durch Straßen, die für solches Gewicht nicht ausgelegt sind. Oliver Schruoffeneger, grüner Bezirksstadtrat für Straßen und Grünflächen in Charlottenburg-Wilmersdorf, sieht da weitere Probleme – buchstäblich – anrollen: "Entweder bricht die Straße ein, also die Asphaltdecke, oder es sind die Wasserleitungen im Untergrund, die zu Schaden kommen – wenn jetzt da etwas knackt, und das wird passieren, dann haben wir ein richtiges Problem, denn dann stehen diese Straßen auch nicht mehr zur Verfügung. Und wir reden über eine Sanierung dieser Straßen – nach den Umleitungen – sicherlich in mittlerer zweistelliger Millionenhöhe."

Sperrung Ringbahnbrücke A100 (Quelle: rbb/Thomas Rostek)
Ringbahn bleibt vorerst unterbrochen - Entscheidung über Stützen oder Abriss
Bis in die kommende Woche bleibt der S-Bahn-Verkehr unter der schadhaften Ringbahnbrücke in Berlin gesperrt, wie am Freitag bekannt wurde. Zurzeit wird geklärt, ob die Brücke gestützt werden kann - oder direkt abgerissen wird.mehr

Hauptgründe für die angespannte Situation: Verkehrsverdichtung und Sanierungsstau. Bei ihrem Bau, 1963, sollte die Ringbahnbrücke 25.000 Autos pro Tag tragen können - mittlerweile rollen täglich fast eine Viertelmillion Karossen über das Bauwerk – vom Kleinwagen bis zum Vierzigtonner. Sperrung und Neubau der Brücke waren absehbar, beim Umbau des Dreiecks Funkturm waren sie fest eingeplant – doch jetzt muss es schnell gehen: Maßnahmen sollen vorgezogen, Abläufe beschleunigt, das Planfeststellungsverfahren in Teilen gerafft werden.
 
Wolfgang Neumann aus der Knobelsdorffstraße, der sich beim Kiezbündnis Klausener Platz seit Jahren für Verkehrsberuhigung einsetzt, befürchtet, dass dabei vorschnell Tatsachen geschaffen werden könnten: "Aus unserer Sicht darf auf keinen Fall die Öffentlichkeitsbeteiligung wegfallen, weil man sagt, es muss jetzt so schnell wie möglich gehen. Was da jetzt gemacht wird, das ist dann wieder für 70 Jahre einzementiert, 70 Jahre muss die Bevölkerung, die hier wohnt, das ertragen. Deshalb ist es unabdingbar, dass die Betroffenen auch beteiligt sind."

Lutz Mittelstädt und Jan Winkler von den Westkreuzgärten (Bild: rbb/Oda Tischweski)

Lutz Mittelstädt und Jan Winkler von den Westkreuzgärten

Kleingärtner mit lautem und labilem Rückzugsort

Gut einen Kilometer entfernt liegt eine von Berlins wahrscheinlich lautesten Kleingartenanlagen, die Westkreuzgärten. Teil der "Bahn-Landwirtschaft Charlottenburg". Wer es still mag, war hier schon immer falsch: Die 250 Parzellen liegen teilweise unter der Ringbahnbrücke, direkt an der S-Bahn-Trasse. Geradezu gespenstisch ruhig müsste es hier doch jetzt sein, im Vergleich? Pächter Jan Winkler winkt ab: "Würd' ich nicht so sagen: Einerseits ist die Autobahn nach Süden ja noch voll in Betrieb, das ICC wirkt wie eine Schall-Prallwand und wirft den Lärm zurück. Andererseits kommt jetzt schon Baustellenlärm auf der Brücke dazu."
 
Schon die Umbaupläne für das Dreieck Funkturm hatten die Kolonie zur Idylle auf Zeit gemacht: 60 bis 70 Parzellen sollen den Baumaßnahmen zum Opfer fallen – das wussten die Pächter schon zuvor. Doch nun könnte alles sehr viel schneller gehen. Am Freitagnachmittag will die Polizei die Gärten zwischenzeitlich sogar räumen, damit im Fall eines Einsturzes der Brücke niemand zu Schaden kommt. Nach einer Neubewertung der Gefahrenlage verzichtet sie dann darauf, doch der Countdown läuft.

Was da jetzt gemacht wird, das ist dann wieder für 70 Jahre einzementiert, 70 Jahre muss die Bevölkerung, die hier wohnt, das ertragen. Deshalb ist es unabdingbar, dass die Betroffenen auch beteiligt sind.

Während an einer Stelle Stadtgrün wegfällt, könnte an anderer neues entstehen: Weil durch das Finanzpaket des Bundes neue Gelder für Infrastrukturprojekte zur Verfügung stehen und weil am Dreieck Funkturm ohnehin gebaut wird, erinnern sich Anwohnende an einen Plan, der fast in Vergessenheit geraten ist. "Ich hatte sehr viel Sympathie für die Idee eines Deckels auf den Trog", sagt Karin Drong, "Die Autobahn ist in einer Troglage und darauf können dann Bäume, Parkplätze, Häuser oder Spazierwege entstehen und man könnte endlich wieder zu Fuß vom Klausener Kiez ins Westend laufen, ohne über eine laute Autobahnbrücke zu müssen – das fänd' ich sehr charmant!"
 
Eine Machbarkeitsstudie kam bereits zu dem Ergebnis, dass ein solcher Deckel möglich wäre – aber auch teuer. 280 Millionen Euro für die Strecke von der Knobelsdorffstraße bis zur Dresselstraße. Für Wolfgang Neumann dennoch lohnenswert. "Wenn man sich ansieht, wieviel Geld für andere Baumaßnahmen in Berlin ausgegeben wird: Die Verlängerung der Stadtautobahn im Süden kostet für ein wenig längeres Stück weit über eine Milliarde. Und diese 280 Millionen wären dann aber auch in die Gesundheit der Bevölkerung investiert."

Sendung: rbb24 Abendschau, 30.03.2025, 19:30 Uhr