
Berlin "Works on Skin": Wenn Kunstsammeln unter die Haut geht
Für "Works on Skin" haben 24 Künstlerinnen und Künstler Tattoos entworfen. Die Idee dahinter: Kunst sammeln soll zugänglicher werden. Die Zielgruppe: Ausgerechnet die, die immer geschworen haben, dass sie sich nie tätowieren lassen. Von Marie Kaiser
Ein Häschen mit herabhängen Ohren stemmt mit kleinen Pfötchen eine schwere Hantel. Das so gar nicht niedliche Häschen, das die Künstlerin Bianca Kennedy gezeichnet hat, zählt zu den derzeit beliebtesten Motiven bei "Works on Skin". Wer es kauft, erwirbt eins von 100 Zertifikaten. Eine Lizenz, um sich das Hantel-Häschen als Tattoo stechen zu lassen und eine lebenslange Beziehung mit dem Kunstwerk einzugehen.
Die Idee zu der Aktion "Works on Skin" [worksonskin.com] kommt von den Berliner Kreativen Annette Walter und Holm Friebe. Nicht weil sie besonders große Fans von Tätowierungen sind, sondern weil sie einen niederschwelligen Einstieg in den Kunstmarkt schaffen wollten.

"Wir wollen den Liebhaberanteil des Sammelns stärken"
Der Autor und Journalist Holm Friebe will die alte Idee der bezahlbaren Kunst-Editionen für die breite Masse aus dem Dornröschenschlaf holen, erklärt er im Interview mit rbb|24.
"Der Kunstmarkt zerfällt in einen "Trophy Markt", in dem reiche Sammler sich die Arbeiten hin- und herschieben. Und einen Bereich, in dem die Leute zu Ikea gehen und sich irgendetwas kaufen, um es übers Sofa zu hängen. Wir wollen mit "Works on Skin" etwas dazwischen anbieten und wirklich den Liebhaberanteil des Sammelns stärken. Durch den Umweg über das Tattoo können wir ausschließen, dass das Werk spekulativ gebraucht wird. Unsere Arbeiten kann man ja nicht wieder verkaufen, wenn sie einmal auf der Haut sind."
Berghain, Höllenmaschine, bunte Ponys oder blauer Punkt
Etwa die Hälfte der 24 Künstlerinnen und Künstler, die bei "Works on Skin" mitmachen, kommen aus Berlin. Darunter bekannte Namen wie Eva & Adele, Käthe Kruse, Jim Avignon oder Michael Sailstorfer. "Wir kuratieren nach dem Lust- und Begeisterungsprinzip und sprechen gezielt Leute an, deren Arbeiten wir lieben", sagt Holm Friebe. Die Arbeiten sind sehr vielfältig. Der Künstler Andreas Hachulla hat das alte Soundsystem des Berghains gezeichnet. Auf der sehr detailreichen schwarzen Tuschezeichnung von Ralf Ziervogel verschmelzen aufgerissene Münder, Zigaretten, Spritzen, Knochen, Feuerzeuge und Sprengkörper zu einer surrealen Höllenmaschine. Die mexikanische Künstlerin Alicia Valladares zeichnet bunte kleine Ponys, Bienen und Kirschen - die so pixelig aussehen, als wären Sie einem billigen Computerspiel entsprungen.
Durch und durch konzeptionell ist das Motiv des Berliner Künstlers Via Lewandowsky. Es besteht nur aus einem simplen blauen Punkt. Dieser muss allerdings genau in der richtigen Größe tätowiert werden. Der Punkt soll im Vergleich zur eigenen Körpergröße genau das gleiche Verhältnis haben, wie die Sonne zur Erde - also 1:110. Bei 170 Zentimeter Körpergröße, hätte der blaue Punkt also etwa einen Durchmesser von 1,5 Zentimetern. "Via Lewandowski hat sich sehr viele Gedanken darüber gemacht hat, was ein Tattoo bedeutet", erklärt Holm Friebe. Dass es immer auch eine Botschaft an einen selbst in sich trägt, weil man täglich darauf schaut. Wer auf den blauen Punkt guckt, schaut immer auf die Erde. Man ist die Sonne in seinem Universum und kriegt dennoch ein Gefühl für die eigene Bedeutungslosigkeit."

Die Preise beginnen bei 100 Euro
Die Preise für alle Arbeiten liegen am Anfang bei 100 Euro - egal ob sie von einem Kunststar oder einem jungen "Emerging Artist" aus Berlin gezeichnet wurden. Danach gibt es eine Preisstaffelung: Je mehr Exemplare von einer Arbeit verkauft werden, umso stärker ziehen die Preise dann an. "Wir belohnen die, die am Anfang beherzt zugreifen", erklärt Holm Friebe. Wer zugreift, bekommt eine Art Lizenzvertrag, also das Recht sich im Namen des Künstlers oder der Künstlerin ein Werk stechen zu lassen. Persönlich gewidmet, nummeriert und signiert. Ein Transferbogen ist auch dabei, mit dem jeder ins das Tattoo-Studio seiner Wahl gehen kann, um das Kunstwerk zu vollenden und sich das Motiv auf eigene Kosten stechen zu lassen. Die fertigen Tattoos werden dann als Fotos wieder auf die Webseite von "Works on Skin" hochgeladen und erst dann gilt das Kunstwerk als vollendet.
Die Einnahmen werden fifty-fifty geteilt. 50 Prozent bekommen die Künstlerinnen und Künstler und 50 Prozent das Team von "Works on Skin". Holm Friebe, der schon 2020 während der Covid-Pandemie mit einer Direktversteigerung Künstlerinnen und Künstler wirtschaftlich unterstützt hat, versteht "Works on Skin" als langfristiges Projekt. Gerade weil die Einnahmen von Künstlerinnen und Künstlern oft sehr stark schwanken, seien kontinuierliche Einnahmen durch Editionen wichtig, um diese Schwankungen abzufedern, glaubt Friebe.

Tattoos polarisieren die Kunstwelt
Doch nicht alle Künstlerinnen und Künstler sind begeistert von der Vorstellung, dass ihre Zeichnung von 100 Menschen als Tattoo getragen wird, gibt Holm Friebe zu. "Tattoos polarisieren. Und die Frage nach Tattoos spaltet nicht nur die Welt der Kunstfreunde und der Bildungsbürger in starke Ablehnung und große Offenheit, sondern auch die der Künstler".

Wer legt sich für die Kunst unter die Nadel?
Eine andere Frage, die sich stellt, ist: Gibt es wirklich genug potenzielle Kunstliebhaberinnen und Kunstliebhaber, die bereit sind, sich für die Kunst unter die Nadel zu legen und den Rest Ihres Lebens mit diesem einem Kunstwerk zu verbringen? Holm Friebe beantwortet das so: "Unsere Kernzielgruppe sind kunstaffine Akademiker um die 40 oder 50. Die sich eigentlich geschworen haben, dass sie sich nie ein Tattoo stechen lassen werden." Dass diese Tattoos künstlerische Position seien, helfe vielen über die Schwelle, um zu sagen, 'jetzt fange ich doch noch damit an'. In dem Paket, das man bekommt, gebe es außerdem immer auch einen Fine-Art-Print. Den könne man sich auch erstmal eine Generation lang an die Wand hängen und sich jeden Tag fragen, wann man sich das endlich stechen lässt, so Friebe.
Dass es gerade die Tattoo-Skeptiker sind, die "Works on Skin" ansprechen will, erklärt auch, warum einer der Verkaufsschlager ein simpler Schriftzug des italienischen Künstlers Daniele Sigalot in Großbuchstaben ist: "I'LL NEVER GET A TATTOO" (Ich lasse mich nie tätowieren) - das perfekte Anti-Tattoo für alle Untätowierten.
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