Uraufführung der Theaterarbeit „Destination: Origin“ des oscar-nominierten iranischen Filmregisseurs Mohammad Rasoulof (Quelle: Fabian Schellhorn)

Berlin Zwischen Leben, Krieg und Tod

Stand: 20.06.2025 15:05 Uhr

Das Festival "Performing Exiles" präsentiert Künstler:innen, die in Berlin im Exil leben. Eröffnet wurde hoch politisch: mit der ersten Theaterarbeit des oscar-nominierten iranischen Regisseurs Mohammad Rasoulof und seiner emotionalen Rede zum Krieg in Iran. Von Barbara Behrendt

Dass diese Eröffnungspremiere tatsächlich über die Bühne gehen würde, schien vor einer Woche plötzlich sehr fraglich. Zu diesem Zeitpunkt startete Israel die ersten Luftangriffe auf Teheran – und sie dauern bekanntlich an. Wie sich auf Proben konzentrieren, wenn die Verbindung zur eigenen Familie in Iran abreißt und man weiß: Es gibt keine Bunker, in denen sich die Menschen in Sicherheit bringen können?
 
Vor einer Woche, sagte denn auch der iranische Filmregisseur Mohammad Rasoulof, Berlinale-Gewinner und Oscar-Kandidat, hätten er und sein Team nicht daran geglaubt, an diesem Abend hier zu stehen. Zur Eröffnung des Festivals "Performing Exiles", das im Haus der Berliner Festspiele nun zum zweiten Mal Exil-Künstler:innen in Berlin präsentiert.

Mohammad Rasoulof am 19.05.2017 auf dem Festival in Cannes 2017. (Quelle: dpa/MAXPPP/Sébastien Botella)
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Kann eine Demokratie aus Krieg erwachsen?

Bei der Rede vor der Uraufführung seiner ersten Theaterarbeit "Destination: Origin" versagte ihm zwischendurch die Stimme. Er bedankte sich bei jedem Einzelnen im Team warmherzig und stellte dann infrage, ob eine Demokratie aus einem Krieg erwachsen könne. In Iran, sagte er, habe man bisher mit friedlichen Mitteln für den Umsturz gekämpft, viele Menschen seien verhaftet, verletzt und getötet worden.
 
"Seit 30 Stunden", schloss er dann, "können Iraner:innen außerhalb des Landes nicht ihre Familien und Angehörigen erreichen, das Internet und die Telefonverbindungen sind zusammengebrochen. Deshalb versuchen wir, uns an unserem künstlerischen Engagement festzuhalten und an dem, was wir lieben. Wir geben heute Abend unser Bestes und wir wissen nicht, ob wir erfolgreich sind. Wir hoffen es, und wir hoffen, dass der Krieg bald endet."

Die Flucht aus Iran

Auf der Bühne stehen jene drei jungen iranischen Schauspielerinnen (plus eine deutsche Kollegin), die schon in Rasoulofs "Die heilige Saat des Feigenbaums" begeistert haben und die mit ihm vor einem halben Jahr zu Fuß über die Berge aus Teheran geflohen sind. Für sie ist diese Theaterarbeit schon deshalb existenziell, weil sie ihnen ein Visum in Deutschland sichert. Auch das gehört zu den Realitäten des Festivals. Rasoulof selbst floh vor einer erneuten Gefängnisstrafe und Peitschenhieben, zu denen er wegen seiner Filmarbeiten verurteilt worden ist.
 
Der Krieg in Iran ist auf der Bühne kein Thema, die Flucht aus dem Iran aber durchaus. Allerdings lässt Rasoulof die Frauen darüber nicht wie in seinen Filmen erzählen, in einer realistischen, stringenten Geschichte, sondern in einer Mischung aus symbolischen Bildern, verspielten Szenen der Erinnerung, Choreografien mit atmosphärischer Musik und kleinen Monologen, in denen die Schauspielerinnen jeweils auf einem Stuhl sitzend ins Publikum von ihrer Fluchtgeschichte sprechen.
 
In den hellen Szenen der Erinnerung an bessere Tage spielen die Frauen mit dem runden Licht eines Scheinwerfers, als würden sie sich einen Ball zuwerfen. In den düsteren Szenen baumeln Stricke von der Decke, ein ganzer Wald aus Seilen, der natürlich an die Bedrohung durch die Todesstrafe denken lässt. Der Körper einer Frau in Weiß zerbröckelt, die Arme fallen von ihr ab – erst spät bemerkt man: Es sind die Arme von zwei weiteren Schauspielerinnen, die hinter ihr stehen.

Baran Rasoulof spricht am 29.02.2020 bei der Pressekonferenz der 70. Berlinale via Skype mit ihrem Vater, dem Regisseur Mohammad Rasoulofüber seine Auszeichnung, den Goldenen Bär für den besten Film. (Quelle: dpa-Bildfunk/Gregor Fischer)
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Pathosgeladener Stil-Mix

Man spürt durchaus, dass Rasoulof die Theatermittel noch nicht vertraut sind. Aus pathosgeladenen Bildern, Monologen, später auch Videos auf den Straßen von Berlin erwächst ein allzu bedeutungsschwangerer Stil-Mix, der sich nicht wirklich zu einem Ganzen fügt.
 
Am stärksten sind die Monologe und die kleinen realistischen Spielszenen. Beim pointierten, emotionalen, bildhaften Erzählen ist der Autor und Regisseur ein Könner. Und man hört gebannt zu, wie die jungen Frauen über ihre Ängste bei den verbotenen Dreharbeiten in Iran sprechen, ihrer Flucht mit nichts als einem kleinen Rucksack über die Berge. Über die Entscheidung, das Land dem Regime zu überlassen. Und schließlich über ihren Alltag in Berlin: Zuletzt sitzen die Frauen gemeinsam lachend am Küchentisch, erzählen vom befreienden Tanzen in Berliner Clubs und fragen ins Publikum, ob jemand eine Zweizimmerwohnung zu vergeben hätte – das hat durchaus Humor und zeigt, was für Menschen, die ihre Heimat verloren haben, am wichtigsten ist: eine Community.

Mario Banushi: albanische Bestattungsrituale

In "Goodbye Lindita“ vom jungen albanisch-griechischen Regisseur Mario Banushi geht es im Anschluss nicht weniger düster zu. Die Performance erzählt bildstark, aber äußerst kryptisch und symbolbeladen, ganz ohne Worte von der Bestattung von Banushis Stiefmutter Lindita. Eine junge, nackte Frau wird gewaschen und aufgebahrt. Weihrauch wird geschwenkt, Veitstanze aufgeführt, albanische Bestattungsrituale ausgeführt, die nicht leicht zu entschlüsseln sind. Tod, Abschied, Trauer sind die vorherrschenden Themen.
 
Schwer nachvollziehbar, warum dieses Gastspiel zur Eröffnung gezeigt wird. Mario Banushi ist zwar ein junger europäischer Shooting-Star mit Migrationserfahrung als Albaner in Griechenland. Doch er hat noch nie einen Fuß auf Berliner Boden gesetzt. Das verwässert das Konzept des Festivals, das ja gerade die reiche Szene der Berliner Exil-Künstler:innen vorstellen möchte statt Gastspiele aus aller Welt.

Die lebensbejahende Community als Gegenstück

Aus Banushis albanischer Totengruft kommend, empfangen einen im Foyer die lebensbejahenden Klänge aus dem "Club de Baile". Aus der Kassenhalle haben die Kurator:innen einen südamerikanischen Vorort gemacht – mit Plastikstühlen, Wachsdecken, politischen Parolen an den Wänden und einer Cocktailbar. Ein Kulturschock! Und doch zeigt das Festival damit aufs Schönste, wie Krieg und Tod das Feiern und Zusammenkommen in der Gemeinschaft als Gegenstück brauchen.
 
Hier wird fröhlich (aber nicht unpolitisch) die lateinamerikanische Community in Berlin gefeiert und ihre Salsa-Tradition. Bis zwei Uhr morgens legen DJs auf, es gibt Tanzwettbewerbe und einen Kunst-Markt von südamerikanischen Künstler:innen. Trotz aller Krisen dieser Welt. Wie sagte Matthias Lilienthal bei der Pressekonferenz? - Ob das experimentelle Performance-Programm des Festivals tatsächlich gut aufgehen würde, sei noch nicht so klar. Aber die Partys, die würden auf jeden Fall ein Knaller. Das sah schon beim Eröffnungsabend ganz so aus.

Sendung: radio3, 20.06.2025, 7:40 Uhr