
Berlin Zwischen Rekordbilanz und Umzugsfantasien: Berliner Messe setzt auf internationale Expansion
Die Messe Berlin hat kürzlich ein Rekordergebnis vorgelegt und will nun weiter wachsen - im Ausland. Der Blick geht dabei weg von den USA, auch wegen Trump. Für Unruhe sorgt der Vorschlag, das Messegelände nach Tempelhof zu verlegen. Von S. Schöbel
Mit markigen Worten führt sich Berlins neueste Tech-Messe sein. "Wir sind die Messe, die aus politischen Ideen Fortschritt und konkrete Handlungen machen will", ruft Gitex-Chefin Trixie LohMirmand ihrem Publikum von der Bühne aus zu. "Wir wollen, dass ihr umdenkt, und zwar schnell."
Gemeint ist, dass sich politische Entscheider:innen dem technologischen Wandel verschreiben sollen. Und angesprochen ist damit auch Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner. Der CDU-Politiker sitzt nur wenige Meter von der Bühne entfernt und wartet darauf, Berlins neueste Messe, die Gitex, bei ihrer Premiere Ende Mai willkommen zu heißen. "Das ist eine bedeutende Messe", so Wegner, "und sie zeigt die Strahlkraft unseres Messestandorts."
Da Berlin aber ohnehin das Herz der gesamten europäischen Startup-Szene sei, so Wegner, gehöre die Gitex auch an die Spree. Gerne auch länger als die bislang ausverhandelten drei Jahre, mit Option auf zwei weitere Jahre, fügt Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) hinzu.

Gitex als Brücke zur arabischen Welt
In der IT-Branche ist die Gitex, gegründet in Dubai, eine der größten und ältesten Tech-Messen für Start-ups überhaupt. Die Vereinigten Arabischen Emirate drängen mit diesem Format ins Ausland als Teil ihrer technologiebasierten Wachstumsstrategie, die das Land langsam von Gas- und Ölexporten unabhängiger machen soll.
Für Messe-Chef Mario Tobias ist sie der bislang größte Coup seiner noch jungen Amtszeit. Er war 2023 dabei, als eine Berliner Delegation um Wirtschaftssenatorin Giffey die Gitex in die Hauptstadt holte. Das landeseigene Unternehmen verdient an den Mieteinnahmen der Hallen und den Serviceleistungen, die man den Gitex-Machern zur Verfügung stellt. Ein Millionengeschäft? "Auf jeden Fall", sagt Tobias. Auch wenn letztlich statt der optimistisch angekündigten 2.500 nur 1.400 Aussteller zur Erstausgabe kamen.
Wir sind mit allen Messeformaten wieder da. Wir sind gut ausgebucht.
Rekordergebnis 2024: Fast 500 Millionen Euro Umsatz
Der Hype rund um die Gitex passt zum Optimismus, den die Messe in diesen Tagen verbreiten will: Es geht wieder aufwärts, die Coronakrise ist endgültig überwunden. "Wir sind mit allen Messeformaten wieder da", sagt Mario Tobias. Vor allem die Leitveranstaltungen ITB, Grüne Woche und Innotrans hätten die Erwartungen voll erfüllt. Dass teure Präsenzveranstaltungen für billige Onlineformate abgeschafft werden, habe sich nicht bestätigt. "Nein, Menschen müssen einander treffen, müssen einander sehen", sagt Tobias. Der Berliner Messekalender jedenfalls sei wieder voll. "Wir sind gut ausgebucht."
Fast 481 Millionen Euro Umsatz hat die Berliner Messe im vergangenen Jahr verbucht. Übrig blieb ein Überschuss von rund 55 Millionen Euro – ein Rekord.
Allerdings stammen davon 25 Millionen Euro aus dem Geschäft mit dem Flüchtlingszentrum auf dem Ex-Flughafen Tegel. Kritiker sagen, durch diesen Auftrag des Landes Berlin habe sich die Messe wirtschaftlich nach Corona saniert und an den teils höchst problematischen Bedingungen in Tegel mitverdient. Mario Tobias aber rechnet anders: "Das Geld, was dort umgesetzt wurde, wo wir im Auftrag des Landes Berlin die Sicherheit und die Bauten übernommen haben, das ist auch etwas, was wir natürlich hier wieder am Standort Berlin reinvestieren", so der Messe-Chef. "Das heißt, es ist Geld, was im Endeffekt in Berlin bleibt."

Euref-Gründer schlägt Umzug nach Tempelhof vor
Ein paar Kilometer stadteinwärts schüttet ein Berliner Wirtschaftspromi Wasser in den Messewein: Reinhard Müller. Der Mann, der den Euref-Campus am Schöneberger Gasometer erdacht und zum Erfolg geführt hat, lobbyiert seit ziemlich genau einem Jahr für eine radikale Idee. Er will die Messe vom Funkturm wegholen und auf dem Flughafen Tempelhof neu errichten, im Schatten der Hangars: moderne Messehallen, Hotels, Konferenzzentren, alles nach aktuellem Stand der Technik.
"Was Berlin dringend fehlt, ist ein großes Konferenzzentrum für 5.000 bis 10.000 Leute", so Müller. "Multifunktional, wo man auch internationale Großveranstaltungen, Konzerte, aber auch Kongresse und ähnliches macht." Weltstars wie Adele und Taylor Swift würden derzeit andere Städte Berlin vorziehen. "Die gehen auf Schalke oder nach München", kritisiert Müller.
Wir wollen kein Messe-Bashing machen. Wir wollen, dass diese Stadt funktioniert.
Um die 800 Millionen Euro würde der Neubau kosten, sagt Müller. Also ziemlich genau so viel wie die Messe in die Sanierung ihrer Hallen stecken müsse. Abreißen würde er nicht alles: Die historischen Hallen würden unter dem Funkturm stehen bleiben. "Für besondere Messen: Antiquitäten, Kunst, Oldtimer, und so weiter." Auch der Hub27 und der CityCube würden erhalten bleiben. "Für die Basketballer von Alba und die Volleys", so Müller.
Abreißen würde er die Hallen, die im Rahmen der Messeerweiterung in den 1990er Jahren gebaut wurden. "Ich würde dort ein komplett neues Stadtquartier entwickeln, mit 3.000 bis 3.500 Wohnungen." Die würden dann den Umzug und den Neubau der Messe quasi querfinanzieren: Summa summarum käme man laut Müller ungefähr bei Null raus und hätte gleich noch den schwierigen Standort Flughafen Tempelhof mit Leben gefüllt, neue Wohnungen geschaffen und der Messe eine moderne neue Heimat gegeben.
"Lass es uns doch mal versuchen, am Euref hat es doch auch funktioniert, ohne dass der Staat einen Cent dazugetan hat", so Müller. Er wolle mit der Idee auch "kein Messe-Bashing machen", sagt der selbstbewusste Architekt. "Wir wollen, dass diese Stadt funktioniert."
Messe reagiert verschnupft auf Müllers Vorstoß
In Messekreisen bezweifelt man Müllers Rechnung: Ein Messeneubau sei kein Millionen-, sondern ein Milliardenprojekt. Zumal die Straßen- und vor allem Schienenanbindungen, die die Messe jetzt am Funkturm hat, in Tempelhof fehlen, zum Beispiel für die Ausstellerzüge auf der Innotrans.
Und man ist sauer auf Müller: Einerseits, weil er ausgerechnet während der Gitex-Verhandlungen öffentlich forderte, just jene Messehallen abreißen zu wollen, über die in Dubai gerade verhandelt wurde. Und zweitens, weil er den Plan gemeinsam mit Ex-Messechef Christian Görke ausgeheckt hat - dem Mann, der seinem früheren Arbeitgeber einst die beliebte IFA abjagen wollte, im Auftrag eines Konkurrenten.
Auch die schwarz-rote Koalition sagt zu Müllers Vorschlag offiziell: Danke, aber nein. Innerhalb der CDU aber hat er dann doch noch Unterstützer, vor allem den wirtschaftspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion, Christian Gräff. Der will den Umzug und Neubauplan am Leben erhalten. Müller bleibt auch deswegen optimistisch. "Nichts ist so stark wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist, hat Victor Hugo gesagt, und das passt eigentlich so wunderbar zu Tempelhof und der Idee zur Messe."
Auslandsexpansion der Messe geplant
Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey, die auch im Aufsichtsrat der Messe sitzt, hält wenig von Müllers Umzugs- und Neubauplänen. Ihre Vorstellungen von Berlins Messegeschäft der Zukunft dreht sich nicht um die Standortfrage, sondern um die strategische Ausrichtung: Die Messe soll expandieren, vor allem auch ins Ausland – und dabei besonders nach Osten blicken. "Es geht schon darum, dass wir unsere Außenwirtschaft diversifizieren und nicht nur in die USA oder nach Europa schauen", so Giffey. "Da ist Osteuropa, aber da ist auch die arabische Welt, und die schlafen alle nicht."
Berliner Unternehmen sollen die boomenden Märkte im Mittleren Osten und in Asien stärker nutzen können, mit der Messe als Türöffner und Lockmittel für Investoren. "Fin Tech, Health Tech, Green Tech, Games, das ganze Thema Künstliche Intelligenz, das sind die großen Wachstumsfelder für Berlin", so Giffey. "Und da brauchen wir Investoren aus dem Ausland, die eine Souveränität ermöglichen, die ein wenig uns auch unabhängig macht von dem, was in den USA passiert."

Verteidigung gegen internationale Messekonkurrenz
Messechef Tobias hat erste Pläne bereits vorgestellt: 2026 geht die Messe mit der Tech-Konferenz Smart Health Asia in Singapur an den Start, und die Tourismus-Fachmesse ITB bekommt erstmals einen Ableger in Lateinamerika. Zwei weitere Veranstaltungen, eine davon in Asien, will Tobias in den kommenden Wochen bekannt geben.
Die Einnahmen seien dabei nur ein Argument: Es gehe auch darum, Berliner Marken wie die ITB gegen die internationale Messekonkurrenz zu verteidigen. "Im arabischen Raum, in Ostasien, Hongkong und Singapur, wird gerade unfassbar viel Geld investiert, und dort könnten sie sich natürlich auch alle möglichen Veranstaltungen schnell selber ausdenken." Die ITB im Ausland zu erweitern, sei also auch eine Maßnahme, um den Wettbewerb durch andere, ähnliche Messen klein zu halten, so Tobias.
Jedes Jahr, so das Ziel, will die Messe künftig eine neue, eigene Veranstaltung auf den Markt werfen. Und zwar vom Messegelände am Funkturm aus, nirgendwo sonst.
Sendung: rbb24 Inforadio, 07.06.2025, 09:30 Uhr