Bushaltestelle in Brandenburg am 18.05.2020. (Quelle: IMAGO/Jürgen Ritter)

Brandenburg Endstation Prignitz? Abgehängt – und trotzdem glücklich

Stand: 30.03.2025 16:25 Uhr

Hohe Arbeitslosigkeit, viele Ältere und Dörfer ohne Bushaltestelle: Statistisch gilt die Prignitz als abgehängte Region in Brandenburg. Einige Menschen sind trotzdem - oder gerade deswegen - bedingungslos glücklich dort. Eine Stippvisite von Anna Bordel

Wenn die Äcker so weit reichen, dass die Horizontlinie sich zu wölben beginnt, dann erreicht das Berliner Auge, das von so viel Weitblick fast schmerzt, die Prignitz. Die Prignitz – ein Landkreis, der viele vorteilhafte Statistiken von hinten und viele unvorteilhafte Statistiken vorne anführt.
 
Die Arbeitslosigkeit ist etwa zwei Prozent höher als im Brandenburger und auch gesamtdeutschen Durchschnitt (8,6 Prozent, Stand Februar 2025). Die Schulabbrecherquote ist ebenfalls überdurchschnittlich hoch. Genau wie die Anzahl der unbesetzten Ausbildungsplätze zu Beginn des Ausbildungsjahres. Knapp 40 Prozent der Prignitzer:innen wählte bei der Bundestagswahl Ende Februar die AfD. Was für einen Eindruck kann man von der Gegend bekommen, wenn man einen Tag dorthin ausflügt und mit ein paar Menschen ins Gespräch kommt? Wie lebt es sich für sie in der Prignitz?

Symbolbild:Rettungskräfte vom Roten Kreuz schieben eine Fahrtrage.(Quelle:picture alliance/dpa/M.Balk)
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Vermittlung von Stellen teils kompliziert

Angekommen in Perleberg, einer Ortschaft, die mit 12.000 Einwohner:innen in der Prignitz zu den größeren zählt, treffen wir Maren Stary Pey, Teamleiterin bei der Arbeitsagentur für den Landkreis Prignitz. Stary Pey, weinrot gefärbte Haare, wie so viele hier in der Prignitz, zählt Argumente auf, wieso die Vermittlung von Stellen an die Arbeitskräfte in der Region so kompliziert ist.
 
In die Elbdörfer gebe es keine oder nur sehr schlechte Verbindungen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, weshalb dort wenig junge Menschen in den Restaurants und Hotels arbeiten wollen. Manche Jobs in der Produktion erforderten einen so hohen Grad an Spezialisierung, den dann doch nicht viele Menschen hätten. Und es sei nicht nur das Stellenangebot, was unattraktiv sei, sondern vor allem auch das nicht vorhandene Freizeitangebot, sagt sie. Vor allem für junge Leute.
 
Was ihre Statistiken und Argumente nicht einpreisen: Einige Menschen geben ihrem Leben in der Prignitz trotz aller Strukturschwäche die volle Punktzahl. Dazu gehört auch sie selbst. "Ich bin absoluter Prignitzer und ich würde niemals woanders hinziehen", sagt sie.

Zurückgekehrt in die Prignitz

Das von Stary Pey angesprochenene mangelnde Freizeitangebot für junge Menschen sieht auch Anne Vietz. Sie hat ebenso rotgefärbte Haare, dazu aber noch ein paar Glitzersträhnchen und betreibt ein Tattoostudio am Rathausplatz in Pritzwalk, einem ähnlich großen Ort wie Perleberg. An diesem Montagmittag lässt sich eine junge Frau am Oberarm tätowieren, eine weitere ist mit ihrer Tochter da und will sich ein Piercing im oberen Ohr stechen lassen.

Anni Vietz, Tättowiererin in Pritzwalk.(Quelle:Melanie Lueft)

Tätowiererin Anna Vietz genießt die Ruhe in Pritzwalk

Vietz meint, dass nicht nur das mangelnde Angebot Teil des Freizeit-Problems ist, sondern auch die Prignitzer selbst. "Dat wat wa nicht kennen, dass...", sie setzt noch mal an: "Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht. Man muss die Prignitzer schon ganz schön rauslocken". Sie selbst genieße die Ruhe in Pritzwalk. Aber ein wenig Großstadt-Vibe hier und da wäre nicht schlecht. Zwischendurch hat sie schon mal anderswo gelebt, aber als sie Kinder bekommen hat, ist sie zurückgekehrt. Andere Bekannte haben das genauso gemacht, sagt sie. "Auf einmal waren wir alle wieder da".

Proben bei Mutti auf dem Dachboden

Einer von ihnen ist Dian Petkov. Ihn treffen wir mitten in einer Schlagzeugunterrichtsstunde an der Pritzwalker Musikschule an. Einige Minuten jammt er noch mit seinem Schüler, dann ist die Stunde aus und er hat kurz Zeit für einen Plausch. Schade sei schon, dass in der Prignitz für viele kulturelle Dinge kein Geld da sei. "Provinz ist Provinz. Bands oder Proberäume zu finden ist schon schwierig hier", sagt er.

Schlagzeuger Dian Petkov. (Quelle: rbb)

Drummer Dian Petkov ist viel rumgekommen - und in der Prignitz geblieben

Er selbst hat als Kind auf dem Dachboden von Mutti geprobt, erzählt er. "Die hat sich tierisch aufgeregt". Heute ist er Drummer und Chef der Bigband der Musikschule. "Das Beste was man sich vorstellen kann", sagt er. Auch er ist einer von denen, die ihr Leben in der Prignitz trotz allem unumwunden lieben. Schon an vielen Orten habe er gelebt, aber nirgendwo sei er so zufrieden gewesen wie hier. Dennoch müsse etwas für die jungen Leute getan werden, damit einige blieben, "sonst wollen die doch alle die Welt erobern gehen".

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Regularien-Wust in der Landwirtschaft

Einer von denen, die die Welt nicht jenseits der Prignitz erobern wollen, ist Landwirt Alexander Liedtke, den wir an diesem Tag auf seinem Hof besuchen. Er betreibt im Pritzwalker Ortsteil Schönhagen konventionellen Ackerbau und produziert lagerfähiges Getreide. Neben seinen Silos stehen mehrere Traktoren, bei einem werden gerade die Scheiben geputzt. Vor drei Jahren hat der 32-Jährige den Betrieb von seinem Vater übernommen und liebt seinen Job.

Landwirt Alexander Liedtke. (Quelle: rbb)

Landwirt Alexander Liedtke betreibt im Pritzwalker Ortsteil Schönhagen konventionellen Ackerbau.

Angesprochen auf die vielen Transformationen in der Landwirtschaft sagt er nur: "Wann hat sich in der Landwirtschaft nicht viel verändert". Herausfordernd findet er allerdings den Wust an Regularien und dass diese sich so regelmäßig ändern. Zum Beispiel, welche Pestizide er verwenden dürfe. Es sei schwierig zu planen, wenn sich ständig Dinge ändern. "Wenn du zum Beispiel einen Stall bauen willst, brauchst du Planungssicherheit von 20, 30 Jahren", sagt er. Allen Schwierigkeiten zum Trotz: Den Hof möchte er führen, bis er in Rente geht. Und dann lenkt er seinen Trekker auf einen dieser endlos langen Prignitzer Äcker. Langsam geht die Feldarbeit in diesem Jahr wieder los.
 
Endstation Prignitz? Soweit man das nach einem Besuchstag beurteilen kann, definitiv. Nicht etwa, weil die Prignitz eine abgehängte Region wäre. Sondern weil die, die hier leben, bleiben wollen.

Sendung: rbb24 Abendschau, 26.03.2025, 19:30 Uhr