
Brandenburg An der Tanke in Brandenburg: "Die Zukunft sehe ich eher kritisch und gefährlich"
Fast jeder kommt mal an der Tanke vorbei. Zwei rbb|24-Reporter sprechen Leute an der Zapfsäule in Brandenburg an und fragen, was sie umtreibt. Heute: ein Lehrer im Referendariat, der auf einen politischen Wandel hofft.
rbb|24 will mit den Gesprächsprotokollen, die "An der Tanke" entstanden sind, Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben die Meinungen der Gesprächspartner wieder.
Mein Jahr lief ziemlich stressig. Ich bin Lehrer und gerade im Referendariat. Das ist eine der stressigsten Zeiten in diesem Beruf. Ich arbeite in Wittstock an zwei Schulen. Ich bin aber ursprünglich aus Potsdam, das ist hier also nicht wirklich meine Heimat. Ich unterrichte Deutsch und Sonderpädagogik und arbeite jetzt schon das fünfte Jahr im Beruf. Ich bereue das nicht, aber das Ref ist einfach stressig, mit viel Arbeit verbunden.
Meine Highlights waren Kurzreisen, die ich unternommen habe, innerhalb von Deutschland. Mehr ging 2024 nicht. Nach Erfurt, Stralsund, München.
Mittlerweile wohne ich seit drei Jahren hier. Ich find’s toll! Ich bin früher in Berlin zur Schule gegangen. Da muss man mit klarkommen, aber ich glaube, ich bin der Typ dafür. Vorher habe ich in Neuruppin gewohnt. Da war man schon als Potsdamer mit fremdem Kennzeichen ein Ausländer. Da wurde ich schon angesprochen, so von wegen "ihr kauft uns hier alles weg". Hier ist man natürlich noch ein bisschen weiter weg von der Großstadt und - bodenständig. Ich habe überhaupt keine Schwierigkeiten.
Das neue Jahr? Natürlich die Prüfung, das Referendariat beenden. Es dreht sich eigentlich alles um diese eine Sache zurzeit. Und danach? Hoffentlich ein entspanntes Lehrerleben nach diesem Referendariat.
Er zögert kurz.
Wollen Sie sich mich auch noch was Politisches fragen?
Also sprechen wir über die anstehende Bundestagswahl.

Ich beschäftige mich ohnehin damit, weil ich wahlberechtigte Schüler habe und wir das ganze thematisieren, also Landtagswahlen und jetzt die Bundestagswahl.
Und das stimmt mich überhaupt nicht zuversichtlich. Weil es sehr ungewiss ist, was kommt. Bei den Leuten, die sich bewerben sehe ich keine Veränderungen. Da sehe ich eher eine große Gefahr, auch in Bezug auf die Ukraine. Da gibt es Personen, die uns dort richtig reinziehen könnten. Die Zukunft sehe ich eher kritisch und gefährlich.
Ich habe bei der Landtagswahl das BSW gewählt und sehe das als vernünftigen und klugen Gedanken. Es ging um Friedenspolitik, es ging um Migrationspolitik, und es ging in meinen Augen vor allen Dingen um soziale Gerechtigkeit und Umverteilung von oben nach unten.
Um noch einmal auf das "Auf’s Land ziehen" zurückzukommen: Was mich hier sehr umgetrieben hat, auch unter dieser letzten Regierung, sind einfach die gestiegenen Energiekosten. Die haben wir hier auf dem Land extrem zu tragen. Da haben Großstädter oft gar keinen Bezug zu. Wir sind auf’s Auto angewiesen. Wir müssen unsere Häuser mit Öl und Gas heizen und haben dadurch richtig große Schwierigkeiten.
Auf die Frage, ob er dem BSW zutraut, wirklich einen neuen Spin in den politischen Betrieb zu bringen, antwortet er verhalten optimistisch.
In Bezug auf die Friedenspolitik gab es ja doch schon klare Äußerungen. Da musste die SPD ihren Kurs ändern - also die Landespolitik im Vergleich zur Bundespolitik. Da wurden sie schon unter Druck gesetzt. Ansonsten bleibt es abzuwarten. Gute Oppositionspolitik finde ich natürlich auch gut. Es muss immer auch eine kritische Kraft geben. Es ist ein Experiment. Hundert Prozent Vertrauen habe ich auch da nicht, das ist klar. Aber ich denke, ein bisschen neuer Wind, ein klarer Blick und vielleicht auch ein schärferer Ton sind gut.
Meine politischen Wünsche? Natürlich ganz klar: die Beendigung des Ukraine-Krieges durch diplomatische Verhandlungen. Ja, er hat eine lange Vorgeschichte, also ist das natürlich nicht so leicht. Aber es ist ein Krieg, in dem keiner gewinnen wird und wo das Sterben weitergeht. Also: Waffenstillstand, um nicht in einen nuklearen Krieg hineingezogen zu werden. Der nächste Krieg wird nuklear sein.
Also: Frieden, natürlich die Energiekosten, aber auch eine vernünftige Migrationspolitik - auch das Problem haben wir ja als Lehrer. Als Lehrkraft merke ich das daran, dass ich Schüler in der Klasse sitzen habe, die hier auf dem Land keine Willkommensklassen besuchen können, wie es die in Berlin gibt. Weil sie auch nach Jahren kein Deutsch lernen. Entweder, weil sie nicht motiviert sind, weil sie traumatisiert sind und keine Traumatherapie bekommen. Oder, weil es keine ausgebildeten DaZ-Lehrer gibt – also Deutsch als Zweitsprache.
Man kann nicht einfach Menschen aufnehmen, wenn man ihnen nicht gerecht werden kann. Kinder und Jugendliche leiden besonders darunter. Dasselbe mit den ukrainischen Flüchtlingen. Die sitzen auch in der Klasse. Man weiß nicht, wie man das Problem behandeln soll, wie man sie integrieren soll. Wenn man sagt, man nimmt sie auf, dann muss es dafür doch auch Lösungen geben!
Es gibt einfach zu wenige Lehrer – naja, gut, das ist ja grundsätzlich so auf dem Land. Wir bräuchten pädagogisches Personal, gut ausgebildete Lehrer, DaZ-Lehrer. Wir bräuchten sanierte Schulen. Ich wünsche mir auch eine komplette Änderung der Bundespolitik in Sachen Bildung. Ich halte überhaupt nichts von “Bildung ist Ländersache”.
Wir brauchen ein einheitliches Schulsystem. Es ist ja immer noch so, dass Schüler von Brandenburg nach Bayern ziehen und zwei Jahre zurückgeschult werden. Mit einem Abitur aus Nordrhein-Westfalen kann man in München nicht studieren. Das ist ein ungerechtes System und eine Vergeudung von Ressourcen.
Er spricht jetzt lauter. Man merkt ihm an, dass ihn die Situation wütend macht.
Für mich heißt das ganz konkret: ich kann denen kein Deutsch beibringen, weil ich den Rahmenlehrplan erfüllen muss. Die gehen einfach unter, sie laufen einfach mit. Für die gibt es überhaupt keinen Plan vom Bildungsministerium. Man weiß nicht, ob man sie bewerten darf, gar nichts. Die werden in die Schulen geschickt und man lässt sie da. Davon haben die Schüler nichts und es ist für die Lehrer schwierig.
Ich habe durch das Referendariat teilweise eine 75-Stunden-Woche – das ist heftig. Ein Lehrer hat ja nicht nur Unterrichtsstunden, sondern verbringt einen Großteil mit Unterrichtsvorbereitung, Elterngesprächen und Klassenkonferenzen. Einmal die Woche fahre ich noch nach Bernau zum Studienseminar. Es ist eine 75-Stunden-Woche und für 40 Stunden werden wir bezahlt.
Eine Gruppe Jugendlicher läuft quer über das Tankstellengelände. Als sie ihn sehen, grüßen sie ihn laut und winken – es sind seine Schüler. Er grüßt zurück und lacht.
Es entwickeln sich natürlich auch ausländerfeindliche Einstellungen, die wir mitbearbeiten müssen. Das geht eigentlich aber noch. Was es mit den Klassen macht? Wir schauen, dass keine Defizite entstehen. Aber es gibt halt auch diese Fälle, dass Eltern sich beschweren, mein Sohn hat hier keinen Platz an der Schule bekommen, weil so und so viel Plätze für ukrainische Flüchtlinge freigehalten werden müssen. Dann müssen die Schüler von hier nach Pritzwalk fahren mit dem Zug – naja. Das müsste man intelligenter lösen - wie alles.
Er lacht leise.
Das ist natürlich nicht nur hier auf dem Land so. Es gibt so eine gewisse Weltfremdheit, die auf dem Land mitschwingt. Weil man aus einem geborgenen Umfeld kommt und nicht damit konfrontiert ist wie in der Großstadt. Ich würde aber nicht sagen, dass es hier mehr ist als anderswo. Klar, die Schüler schnappen ganz viel auf von ihren Eltern auf und thematisieren das. Das sind manchmal recht einfache Gedanken. Zusammenhänge werden nicht verstanden. Das sind Dinge, die wir als Lehrer aufarbeiten müssen.
Man weiß ja oft gar nicht, woher Informationen stammen, mit denen man täglich konfrontiert wird. Das wissen die Schüler nicht. Allein bei Facebook - da bin ich ja auch, um zu wissen, was die Schüler so machen. Man kann gar nicht mehr sagen: ist dieser Artikel jetzt journalistisch oder KI-generiert? Sind die Bilder aus dem Kriegsgebiet der Ukraine echt oder KI-generiert? Da gab es ja auch schon diese Bilder aus Butscha, da hat man festgestellt, das sind umgekippte Autos in den USA – das Foto gab es schon ewig. Man kann eigentlich das, was man in den Medien aufnimmt, schlecht prüfen und das verunsichert total. Auch wir als Lehrer haben keinen Plan, damit umzugehen.
Wir kommen auf eine Meldung zu sprechen, wonach Australien Social Media für Jugendliche unter 16 Jahren verbietet.
Mit Verboten tue ich mich immer ein bisschen schwer. Es gibt sicherlich Kanäle, die eindeutig politisch motiviert sind, um ganze Staaten zu unterwandern oder die Bevölkerung in eine Richtung zu drängen. TikTok gehört meiner Meinung nach verboten und da sind die Schüler halt auch sehr viel. Das geht wirklich in eine ganz miese Richtung.
Aufklärung finde ich trotzdem immer besser als Verbote. Aber eine gewisse staatliche Kontrolle wäre vielleicht gut – also: wie manipulativ dürfen ausländische Unternehmen sein? Und damit meine ich auch amerikanische Unternehmen – auch in Bezug auf die Politik.
Das Gespräch führte Jonas Wintermantel, rbb24.