
Brandenburg Das blaue Heft von Eva Strittmatter - Ausstellung über die Dichterin in Neuruppin zum 95. Geburtstag
Erwin und Eva Strittmatter waren das berühmteste Schriftstellerpaar der DDR. Eva Strittmatters erster Gedichtband 1973 war ein sensationeller Erfolg. Eine Ausstellung zeigt jetzt, dass sie nicht erst an der Seite ihres Mannes zur Dichterin wurde. Von Tomas Fitzel
Ob es ein Rotdorn ist vor dem Haus, in dem Eva Strittmatter in Neuruppin aufwuchs? Jetzt im Winter ist das für einen Laien schwer zu erkennen. Und wenn, ist es dann jener Rotdorn, unter dem sie in ihren Kinderjahren ein- und ausging, wie es in ihrem Gedicht "Rotdorn" heißt, das man auf der Gedenktafel zwischen zwei Fenstern lesen kann?
Über ihre Geburtsstadt Neuruppin heißt es in diesem Gedicht: "Stadt, die ich liebte, die mich liebte". Und dies ist auch der Titel einer neuen Ausstellung im Museum Neuruppin, die anlässlich von Eva Strittmatters 95. Geburtstag von Samstag an bis zum 5. Mai gezeigt wird.
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Eva Strittmatter – Gedenktafel und Wohnhaus in Neuruppin
"Ich hab wenig geschrieben, wenig veröffentlicht"
Am 8. Februar 1930 wurde Eva Strittmatter in Neuruppin geboren. In das Haus in der Robert-Koch-Straße 2 zog ihre Familie 1932. Sie lebte dort bis zu Ihrem Abitur 1947. In den 1950er Jahren arbeitete sie als Lektorin, Kritikerin und Essayistin für die Literaturzeitschrift "Neue deutsche Literatur" in Berlin. Mit ihrem zweiten Ehemann, Erwin Strittmatter, zog sie nach Schulzenhof im Ruppiner Land.
Die beiden wurden das berühmteste Schriftstellerpaar der DDR. Doch sie selbst bilanziert noch 1968: "Ich hab wenig geschrieben, wenig veröffentlicht und werde weiter so verfahren." 1973 schließlich ihr erster Gedichtband "Ich mach ein Lied aus Stille". Dieser verkauft sich in der DDR 700.000 Mal.
Lange galt die Vorstellung, die erfolgreiche Dichterin Eva Strittmatter sei erst in Schulzenhof in der Arbeitsgemeinschaft mit Erwin Strittmatter gewissermaßen geboren worden. Sie selbst nährte diesen Mythos. Dabei war in ihr schon seit ihrer Jugend alles angelegt. Es war nur eingekapselt und wartete darauf, befreit zu werden. Diese frühen Anfänge zeigt nun erstmals die Ausstellung in Neuruppin.
Ein kleines Oktavheft
Das Herzstück dieser Ausstellung ist ein kleines, blau marmoriertes Oktavbüchlein. Es stammt aus dem Nachlass der Dichterin, der im Literaturarchiv der Akademie der Künste in Berlin verwahrt ist - zusammen mit mehreren Tausend Briefen ihrer Leserinnen und Leser. Gabriele Radecke, die Archivleiterin, schlägt das Büchlein ganz vorsichtig auf. Eva Strittmatter hatte es von ihrem Vater geschenkt bekommen, der bald darauf in Frankreich umkam.
Der erste Eintrag ist vom 18. September 1944. In dieser Zeit lernt sie ihre erste Liebe kennen: Hans-Georg Deichmann. Sie ist vierzehn, er zwei Jahre älter. Sie fängt an mit einem Zitat aus Goethes "Mailied": "Wie herrlich leuchtet mir die Natur!". Dies wird zu ihrem späteren Credo als Lyrikerin - die Natur, an der sie sich nie satt sehen kann. Die beiden lesen gemeinsam Rilke.
In einer anderen Vitrine liegt ein von ihr liebevoll handgeschriebener Gedichtband. Dafür hat sie als Weihnachtsgeschenk für ihre Mutter einige Gedichte aus Rilkes "Stundenbuch" abgeschrieben. Man erkennt auch, dass sie gestalterische und zeichnerische Talente besaß. Denn neben frühen Familienfotos, Briefen und ersten Manuskripten sind auch einige Zeichnungen aus ihrer Schulzeit zu bewundern.
Schreiben trägt zum Heilen bei
In den letzten Kriegstagen meldet sich Hans-Georg Deichmann freiwillig an die Front. "Wir haben dem Führer die Treue geschworen und werden ihm unsern Eid halten", schreibt er am 6. April 1945 an sein "liebes Evchen". Ihm ist bewusst, dass er wohl nicht zurückkommen wird. Und sie schreibt an "Hansi" am 28. April: "Daß du mich liebst und daß ich dich lieben darf, ist wie ein schöner Traum in aller Schwere der Zeit". Sie werde "immer" auf ihn warten. Auch diese Briefe werden gezeigt.
Nach wenigen Tagen wird der Siebzehnjährige in der Schlacht auf den Seelower Höhen schwer am Kopf verwundet, schleppt sich noch nach Berlin, stirbt aber – es ist schon Frieden – Ende Mai. Neuruppin selbst bleibt von der verheerenden Kriegswalze verschont. Aber Eva Strittmatter fühlt sich für seinen Tod mit verantwortlich.
Und dann, erklärt Archivleiterin Radecke, fängt sie an, in diesem blauen Büchlein fiktive Briefe an ihn zu schreiben. Dadurch verarbeitet sie diesen schweren Schicksalsschlag. Schreiben, sagt sie auch später immer wieder, trage zum Heilen bei. Dieses Erlebnis, diese Einträge können daher als Initialzündung für sie als spätere Dichterin begriffen werden. Und dies alles begann eben in Neuruppin.
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Eva Strittmatter als Jugendliche um 1945/46
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