
Brandenburg Gift im Boden: Weitere Cottbuser Gärten dürfen kein Brunnenwasser mehr nutzen
Chemische Altlasten verseuchen das Cottbuser Grundwasser. Weil sich die Schadstoffahne ausbreitet, hat die Stadt nun das Gebiet erweitert, in dem kein Grundwasser entnommen werden darf. Betroffen sind auch zwei Gartensparten. Von Sebastian Schiller
Seit Jahren breitet sich unter Cottbus eine etwa vier Kilometer lange Giftfahne aus. Deshalb ist in Teilen der Stadt schon länger verboten, Grundwasser zu nutzen - am Sonntag wurde das Gebiet erweitert. Betroffen sind unter anderem hunderte Gartenpächter zweier Anlagen. Für sie ist es nun verboten, Gemüse mit Grundwasser zu gießen, Pools damit zu befüllen oder es anderweitig zu nutzen.
"Das ist die einzige grüne Oase, das ist mein Lebenselixier", sagt Kleingärtnerin Karen Keller aus der Sparte "Alt-Ströbitz". Dort ist der Frust groß. "Im Jahr 2025 schleppen 60-, 70-jährige Leute Wasser 100 Meter weit, das kann es ja nicht sein", ergänzt Lutz Krambrock. "Ich bin 86, was soll werden, wenn ich den Garten abgebe?", fragt Edith Weber. "Wer nimmt einen Garten ohne Wasser?"
Lacke, Säuren oder Arsen
Die Schadstoffe im Boden haben ihren Ursprung in der Nähe des Cottbuser Stadtrings. Das betroffene Betriebsgrundstück an der Parzellenstraße wurde über 100 Jahren industriell genutzt, anfangs als Tuchfabrik, später als Nasssteinpresserei und schließlich in den Jahren 1954 bis 1997 vom ehemaligen Chemiehandel Potsdam. Nach der politischen Wende wurde der Betrieb abgewickelt. Die Stadt Cottbus ist Rechtsnachfolger und Grundstückseigentümer. Durch den Chemiebetrieb sind schätzungsweise 50 Tonnen Giftstoffe im Boden entsorgt worden, darunter Lacke, Säuren oder Arsen.
"Wir haben es hier mit einem Schadstoffspektrum von LHKWs (Leichtflüchtige halogenierte Kohlenwasserstoffe) oder LCKWs (Leichtflüchtige Chlorierte Kohlenwasserstoffe) zu tun, die im schlimmsten Fall erbgutschädigend oder krebserregend sein können", so Stephan Böttcher, der Leiter des Fachbereichs Umwelt und Natur bei der Stadt Cottbus. Um die Bürger zu schützen, sei die Behörde "schlichtweg gezwungen", zu handeln.

Das Bild zeigt, welches Gebiet in Cottbus von der Schadstoffahne betroffen ist. Weil sich die Stoffe Richtung Nord-West ausbreiten, musste der Geltungsbereich angepasst werden. Grün: 2009 | Blau: 2016 | Rot: 2025. Quelle: Stadt Cottbus
Überforderte, alte Leitung
Das Gift reichert sich auch unter dem Garten von Edith Weber weiter an, jetzt musste die Stadt die Brunnen der Anlage stilllegen. "Wenn das hier so bleibt, dass ich nicht gießen kann, lebe ich in der Wüste", sagt die Rentnerin. "Es vertrocknet mir alles, selbst die Bäume machen dann Schluss."
Ein Trinkwasseranschluss soll Abhilfe schaffen. Es gibt bereits mehrere Leitungssysteme unter den Gärten. Diese sind jedoch teilweise alt und von der Größe her für das Bewässern nicht ausgelegt.

Laut Andreas Uhlemann, dem Vorsitzenden der Kleingartenanlage Alt-Ströbitz, ist die Leitung 30 Jahre alt. "Da staune ich, dass überhaupt noch was rauskommt. Und wenn etwas rauskommt, reicht das nur zum Kaffeekochen, mehr nicht."
Hinzu kommt: Im Gegensatz zur bisherigen Brunnenlösung entstehen bei einer Wasserleitung zusätzliche Kosten. Nur für den Außenanschluss hat Gartennachbar Klaus Mudra 125 Euro bezahlt. "Die Wasserkosten, habe ich mal hochgerechnet, könnten im Jahr 150 bis 200 Euro höher sein."
Die Stadt kann maximal in Härtefällen unterstützen, zum Beispiel mit Trinkwasserwagen. Es soll auch über den Bau neuer Wasserleitungen gesprochen werden. "Es ist immer eine Einzelfallbetrachtung erforderlich", so Stephan Böttcher, "und mit dem Wissen, dass wir hier 40 Hektar abdecken wollen bzw. müssen, ist die Unterstützung der Stadt Cottbus natürlich gegeben, aber es ist alles endlich."
Stadt: Problem "bis zum Ende des Jahrhunderts"
In Zukunft wird es noch mehr Betroffene geben. "Was die Erkenntnis ist, und das gehört zur Wahrheit auch dazu, dass sich die Grundwasserbelastung weiterhin ausbreiten wird", so Böttcher. Die Stadt schätzt, dass das Problem mindestens bis zum Ende des Jahrhunderts bestehen wird.

Die Filteranlage auf dem Gelände des ehemaligen Chemiebetriebs (Archivfoto)
Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird der Boden unter des ehemaligen Chemiebtriebs am Stadtring gereinigt. 2003 wurde die Grundwasser- und 2005 die Bodenluftsanierungsanlage in Betrieb genommen. Die Sanierung hat nach Angaben der Stadt bisher 24 Millionen Euro gekostet, bei den Gesamtkosten rechne man mit etwa 44 Millionen Euro.
Finanziell machbar wurde das laut Stephan Böttcher durch die Haftungsfreistellung für Altlasten, durch das ein Förderinstrument nach Cottbus geholt wurde. Dadurch hat das Land die Sanierung zu 90 Prozent gefördert, den Rest muss die Stadt zahlen. Es ist ein Förderprogramm, dass es inzwischen nicht mehr gibt.
Rechtsgrundlage für die Altlastenfreistellung ist ein Artikel im Umweltrahmengesetz der DDR. Demnach können "Eigentümer, Besitzer oder Erwerber von gewerblich genutzten Flächen von der Verantwortung für vor dem 1. Juli 1990 verursachte Umweltschäden ganz oder teilweise freigestellt werden", so das Ministerium für Land- und Ernährungswirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz (MLEUV).
Unbedenkliches Leitungswasser
Auch, wenn am ehemaligen Industriestandort der Boden und das Grundwasser gereinigt werden - das Gift, das von dem Grundstück bereits abgeflossen ist, jedoch nicht eingefangen werden. Den Bereich innerhalb der Fahne zu reinigen wäre schlicht zu teuer, heißt es aus dem zuständigen Fachbereich.
In der Gartenanlage Alt-Ströbitz muss ab sofort mit Leitungswasser gegossen werden. Das ist problemlos möglich. Denn das Cottbuser Trinkwasser wird außerhalb der Giftfahne gefördert - und ist deswegen nicht betroffen.
Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 18.05.2025, 19:30 Uhr