Archivbild: Friedrich Merz, CDU beim Parteitag. (Quelle: dpa/Noroozi)

Brandenburg Viadrina-Politologe: "Es dürfte Merz schwerfallen, mit SPD und Grünen noch eine Regierung zu bilden"

Stand: 04.02.2025 15:30 Uhr

Die CDU fordert in der Debatte um Migration dauerhafte Grenzkontrollen. Das könnte rechtlich möglich sein, sagt der Frankfurter Politologe Timm Beichelt. Die Rhetorik von Friedrich Merz sieht er kritisch - und prophezeit auch für nach der Wahl Widerstände.

rbb|24: Herr Beichelt, in der vergangenen Woche wurde das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz der Union zunächst heftig diskutiert und dann im Bundestag abgelehnt. Trotzdem will die CDU an den Plänen mit Änderungen in der Asylpolitik festgehalten. Ein Punkt ist unter anderem die Einführung dauerhafter Grenzkontrollen. Welche Auswirkungen hätten diese Kontrollen?
 
Timm Beichelt: Die Grenzkontrollen gibt es eigentlich schon. Nicht nur zwischen Frankfurt (Oder) und Slubice. Die gibt es zwischen Italien und Frankreich seit 2015. Auch Dänemark hat das regelmäßig immer wieder gegenüber Deutschland gemacht. Man sollte an diese Orte gucken, um zu sehen, was sich dort geändert hat.
 
Frankfurt (Oder) und Slubice sind als Doppelstadt-Konstruktion irgendwo auch einzigartig. Deswegen gibt es Auswirkungen, die sich einfach auf das städtische Leben beziehen - inklusive der Staus in Slubice, aber auch Schülerinnen, Schüler, Studierende, Einkauf, und so weiter. Das heißt, da gibt es schon Beschränkungen. Andererseits, wenn man von diesen kommunalen Beschränkungen absieht, lässt sich sehen, dass kaum jemand über die Grenzkontrollen zwischen Dänemark und Deutschland oder Frankreich und Italien spricht. Die Antwort muss zwiespältig ausfallen. Im Großen und Ganzen kann man damit leben, und im einzelnen Fall sind die Beeinträchtigungen spürbar.

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De facto gibt es die Grenzkontrollen im deutsch-polnischen Raum seit Herbst 2023. Diese sind immer wieder befristet. Dann werden sie verlängert. Verschiedene Seiten argumentieren, die Einführung dauerhafter Kontrollen seien nach EU-Recht nicht möglich. Andere sagen, eine dauerhafte Einführung sei ohne Probleme umsetzbar. Was gilt denn nun?
 
Es scheint mir erst einmal falsch zu sein, dass Gesetze nicht geändert werden können - auch auf EU-Ebene. Der Prozess ist zwar relativ langwierig. Aber es ist ein verfehltes Verhältnis von Politik zu sagen, dass es wegen EU-Recht nicht geht. Allerdings gibt es dort zwei Einschränkungen. Zum einen sehen wir an dem Beispiel Frankreich - Italien, dass dort seit ich glaube zehn Jahren die Grenze kontrolliert wird und Geflüchtete zurückgewiesen werden.
 
Das ist ein interessanter Blick, wie es dort diskutiert wird. Denn Frankreich ist eine Demokratie und es gibt Juristen und bestimmte Rechtsakte, die gelten. Es wird die Frage auf individuelles Anrecht auf Asyl anders diskutiert. Vor diesem Hintergrund wird es im rechtlichen Diskurs auch als zulässig angesehen. Jedenfalls gab es kein Gericht, dass das seit zehn Jahren unterbunden hätte.
 
Zum anderen kann man über dieses "auf Dauer" versus "vorübergehend" nachdenken. Frankreich: immer wieder vorübergehend. Dänemark gegenüber Deutschland: immer wieder vorübergehend. Auch da scheint es mir verfehlt, per se mit EU-Recht zu argumentieren.
 
Es gibt Beispiele dafür. Und das wird es auch in Deutschland geben, Gründe dafür zu finden, um an der Grenze Kontrollen durchzuführen. Noch einmal: Dass diese Regeln allein von der EU kämen, ist falsch. Eher scheint es mir so zu sein, dass SPD, Grüne und Linke sich wünschen, dass das EU-Recht nicht verändert wird.

Wenn man auf die Debatten im Bundestag und die Proteste oder Appelle gegenüber der CDU schaut, aber auch wie SPD, Grüne und Linke die Debatte führen - wird da aus Ihrer Sicht noch rational argumentiert oder ist das Wahlkampf?
 
Es ist auf jeden Fall Wahlkampf und schon eine Wegmarkierung. Man wird nach diesen Wahlen diese letzte Januar-Woche in irgendeiner Weise als besonders wichtig ansehen. Ich rede auch etwas persönlich. Es ist schon sehr auffällig und auch etwa betrüblich, dass ein Kanzlerkandidat der CDU/CSU einerseits behauptet, er mache mit der AfD keine gemeinsame Sache. Aber vor allem auf der rhetorischen Ebene Dinge übernimmt, die eins zu eins AfD-Talk sind: der Geflüchtete als Gefahr. Überhaupt stört das Ressentiment gegenüber allen möglichen fremden Gruppen.
 
Das habe ich bei Merz sehr deutlich herausgehört. Er hat auch mehrfach wiederholt, dass ihm genau das wichtig ist und daraus seine Führungsaufgabe besteht. In drei Wochen werden wir mehr darüber wissen, wie das ausgeht. Es dürfte ihm auf jeden Fall schwerfallen, mit SPD und Grünen überhaupt noch eine Regierung zu bilden. Die CDU wird immer noch größte Partei werden, aber eine Kanzlerschaft Merz scheint mir nur noch dann wahrscheinlich zu sein, wenn AfD und FDP mit im Boot sind.
 
Dann gibt es noch die andere Seite mit SPD, Grünen und Linken. Man weiß eigentlich aus der vergleichenden europäischen Politikforschung, dass der Populismus zurückgeht, wenn Parteien aus dem linken Spektrum auf Wählerinnen und Wähler hören, die ihre Probleme mit der Migration haben - und zwar mit bestimmten Elementen der Migration. Diesen Schritt sind SPD, Grüne und Linke nicht bereit zu gehen. Egal ob man auf die CDU/CSU-Seite oder die gemäßigte Linke guckt: Eigentlich alles, was sie tun, kommt der AfD in Umfragen, aber auch rhetorisch zugute. Deswegen halte ich es auf einer doppelten Ebene für eine große Schwäche der etablierten politischen Parteien beim Umgang mit einer populistischen und wenigstens in Brandenburg auch teilweise extremistischen Partei.

Die Taktik von Friedrich Merz, die Rhetorik quasi von der AfD zu übernehmen, aber trotzdem einer Zusammenarbeit abzusagen...
 
... halte ich einfach für unglaubwürdig. Was kommt als nächstes? Jetzt hat er gesagt, er werde als Bundeskanzler eine Anweisung machen, dass die Grenzen geschlossen sind. Das klingt merkwürdig, weil Bundeskanzler keine Anweisungen machen. Er tut so, als ob es keine Koalitionen, kein Innenministerium und an der Stelle keine EU gäbe. Diese Ankündigung ist ein erneuter Baustein an fehlender Glaubwürdigkeit und Strategiefähigkeit. Morgens am Küchentisch können viele Menschen so wie Merz gerade sprechen. Aber die wollen nicht Bundeskanzler werden. Deswegen zweifle ich persönlich seit der letzten Woche grundsätzlich, ob dieser Kandidat jetzt der richtige ist.

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Viele sehen in diesen Aussagen, den Ton der AfD zu bedienen, auch eine große Gefahr und die beschworene Brandmauer bröckeln. Warum polarisiert das so?
 
Es gibt seit einem oder zwei Jahren das Buch "Triggerpunkte" von Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser. Darin gehen sie der Frage nach, wie es eigentlich kommt, dass die öffentliche Debatte so aufgeregt ist, während es gleichzeitig bei vielen Themen in der Bevölkerung große Mehrheiten gibt. Triggerpunkte sind dort Markierungen im Diskurs, wo man denkt, darauf einsteigen zu müssen.
 
Letzte Woche hatten wir gleich drei dieser Triggerpunkte. Das eine ist aus der jüngeren deutschen Geschichte: keine Zusammenarbeit mit rechtsextremen Parteien. Dann hat man das "Woke", also die Frage rund um liberal-grüne Weltanschauungen. Und shließlich die Idee des Kontrollverlustes der Politik: Die Behörden sind kaum noch zugänglich, Termine erst in acht Wochen, schlechter Schulunterricht, und so weiter. Das sind drei Bereiche, in denen die Parteien im Bundestag aufeinandergeprallt sind.

In der Öffentlichkeit allerdings spielte die Brandmauer die größte Rolle. Es haben jetzt am Wochenende Hunderttausende Menschen dagegen demonstriert. Ich weiß nicht, ob das für jemanden in der CDU/CSU oder den anderen Parteien eine Rolle spielt. Aber es ist festzustellen. Daher auch meine Skepsis, dass Merz noch mit der gleichen Freiheit beispielsweise mit der SPD sich auf eine Koalition wird einigen können. Ich glaube, dass die Zahl von Abgeordneten aus der kommenden SPD-Fraktion beträchtlich sein wird, die dem nicht über den Weg trauen.

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Man darf auch nicht vergessen, dass auch in der CDU/CSU nicht rundum akzeptiert wird, dass Familien-Nachzug verhindert wird. Die Zahl, um die es da ging, war sehr gering. Es geht jetzt nicht darum, ganz Deutschland zu öffnen, damit sich alle möglichen Familien wiedervereinigen können, sondern in bestimmten Konstellationen die Kinder zu ihren Eltern kommen. Das ist doch kein Thema für eine christliche Partei, das endlich mal zu verhindern.
 
Deswegen wird es auch in der Christdemokratie erheblichen Widerstand geben. Der wird im Moment im Wahlkampf nicht geäußert. Ich bin skeptisch, ob sich das auf lange Sicht als schlauer Zug von Herrn Merz durchsetzen wird.
 
Vielen Dank für das Gespräch!

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine gekürzte und redigierte Fassung. Das Interview führte Robert Schwaß für Antenne Brandenburg.
 
Sendung: Antenne Brandenburg, 04.02.2025, 15:40 Uhr