Stahlwerk von ArcelorMittal in Eisenhüttenstadt

Brandenburg Stahlwerk in Eisenhüttenstadt: "Wird der Strom am Markt noch teurer, fangen wir an, unsere Aggregate abzuschalten"

Stand: 04.02.2025 16:51 Uhr

Hohe Strompreise, harte Konkurrenz aus Asien, ungewisse politische Vorgaben: Die Stahlindustrie steckt in der Krise. ArcelorMittal-Chef Thomas Bünger über die Auftragslage in Eisenhüttenstadt und den schwierigen Umstieg auf grünen Stahl.

Deutschlands Stahlindustrie wird gleich von drei Seiten gebeutelt: Während die Stahlwerker mit wachsender Konkurrenz aus Asien kämpfen, ringt die Branche hierzulande mit teils enorm hohen Stromkosten. Parallel muss die energieintensive Industrie mittelfristig den Umstieg auf grüne Energie stemmen, um bis 2050 klimaneutral zu produzieren.

Auch ArcelorMittal in Eisenhüttenstadt soll den Stahl ohne Koks in Elektro-Öfen herstellen. Und hat dafür auch schon eine Förderzusage vom Bund über 1,3 Milliarden Euro. Doch die Entscheidung, die Produktion tatsächlich umzustellen, hat das Unternehmen noch nicht gefällt. Thomas Bünger, der Deutschland-Chef von Arcelor Mittal, über die Schwierigkeiten der Transformation, teuren Industriestrom und die Auftragslage in Eisenhüttenstadt.

rbb|24: Herr Bünger, im Dezember 2024 soll die Produktion im Walzwerk von ArcelorMittal in Eisenhüttenstadt zwischenzeitlich gestoppt worden sein. Was war da los?
 
Thomas Bünger: Das ist in der Tat der Fall gewesen, dass wir stundenweise unser Warmwalzwerk nicht betrieben haben. Zu diesen Zeitpunkten waren die Energiepreise so hoch. Ende November hatten wir mal einen 1-Stunden-Wert von mehr als 850 Euro pro Megawattstunde. Das war der höchste jemals aufgerufene Preis. Und diese Stunden haben wir selbstverständlich rausgeschnitten, weil es dort völlig unprofitabel gewesen wäre, weiterhin zu produzieren. Das ist für uns ein schwerer Schlag, weil das die Zuverlässigkeit in Frage stellt, die unsere Kunden im Hinblick auf vollständige und pünktliche Lieferung von uns erwarten.

Es soll lukrativer gewesen sein in dieser Zeit, die selbst erzeugte Energie zu verkaufen, statt selbst zu verbrauchen?
 
Das kann man so sagen, ja. Die Abgase aus Hochofen und Konverterstahlwerk - da ist ja noch Energie drin - verstromen wir. Wenn man einen Basis-Energie-Preis von 50 bis 60 Euro pro Megawattstunde annimmt, bei dem es sich lohnt, als energieintensive Industrie in Deutschland unterwegs zu sein, dann ist der selbst erzeugte Strom deutlich teurer, um mehrere hundert Euro. Wird der Strom am Markt noch teurer, fangen wir an, unsere Aggregate abzuschalten.

Tut sich da für Arcelor in Eisenhüttenstadt ein neues Geschäftsfeld auf, Energie zu verkaufen?
 
Das glaube ich nicht. Unser Kerngeschäft ist die Produktion von Stahl und Produkten aus Stahl. Und darauf wollen wir uns auch fokussieren. Wir sind eher entsetzt, was diese Energiepreisentwicklung im November und Dezember betraf. Es gab aber auch jetzt schon wieder im Januar einige Tage mit exorbitant hohen Stundenpreisen für Elektroenergie. Wir sind entsetzt, dass wir nicht mehr in der Lage sind, mit den Rahmenbedingungen zuverlässig und dauerhaft unsere Anlagen zu betreiben.

Wie geht es dem Standort Eisenhüttenstadt, wie ist die Auslastung des Werkes und wie gestaltet sich der Markt?
 
Zu finanziellen Ergebnissen kann ich derzeit nichts sagen, da der Konzern erst in den kommenden Tagen die Zahlen für das abgelaufene Geschäftsjahr veröffentlichen wird. Aber die Produktivitätsauslastung war im letzten Jahr für Eisenhüttenstadt gut. Wir hatten genügend Aufträge, um unsere Anlagen kontinuierlich und vollständig auszulasten. Es gab keine Notwendigkeit, Kapazität zurückzunehmen. Da tut uns das Abschalten, auch wenn nur für Stunden, richtig weh. Bei der Vorausschau auf das erste Halbjahr 2025 kann ich sagen, wir haben genügend Aufträge eingeworben und sehen eine Vollauslastung.

Was noch aussteht ist die finale Investitionsentscheidung des Konzerns zur so genannten Dekarbonisierung, also zur Umstellung auf CO2-neutrale Produktion. Welche Voraussetzungen fehlen noch, diese Investitionsentscheidung im Konzern zu treffen?
 
Das eine ist, was wir als ArcelorMittal noch zu liefern haben für diese Entscheidung: Da braucht es noch eine vollständige technische Entwicklung. Daran arbeiten wir, die ist noch nicht fertig. Das ist auch einer der Gründe, warum bislang nicht entschieden wurde und warum wir auch jetzt noch nicht entscheiden. Vollständige technische Entwicklung heißt, alles Equipment ist mit hinreichender Genauigkeit einmal vollständig beleuchtet worden, von der Konstruktion bis zu den Kosten. Es muss dazu eine Wirtschaftlichkeitsberechnung geben, und auch die ist noch nicht fertig.
 
Darüber hinaus gibt es externe Parameter, an denen im Moment sehr viele Fragezeichen hängen. Dekarbonisierung heißt ja nichts anderes als Elektrifizierung unserer Primärstahl-Erzeugungsroute - also das Ersetzen von Hochofen und größerer Teile des Stahlwerkes durch einen Elektro-Ofen. Das wird dazu führen, dass wir keine Energie mehr selbst produzieren, so wie wir das heute aus den Hochofen-Abgasen tun. Wir werden dann sehr viel Strom aus dem Netz beziehen, um den Elektro-Ofen zu betreiben. Und das bei den heutigen Energiepreisen in Deutschland, die immer noch ungefähr zweieinhalb Mal so hoch sind wie vor der Energiekrise.

Wir sehen da 50 bis 55 Euro (pro Megawattstunde) als Maß der Dinge an. Das ist das, was für die energieintensive Industrie vor der Energiekrise in Deutschland der Zielpreis war. Dort müssen wir wieder hin und da sind wir im Moment weit, weit weg.

Archivbild: Ein Mitarbeiter der Firma ZF Getriebe GmbH arbeitet an der Produktionslinie im Werk am 25.07.2019.(Quelle:picture alliance/dpa/M.Skolimowska)
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Darüber hinaus gibt es auch keine verlässliche Aussage, wie wir denn in den nächsten Jahren dahin kommen können und wie es sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren entwickeln wird. So einen Elektro-Ofen zu bauen, dauert einige Zeit. Wir müssen mit einer verlässlichen Aussage zum Preis rechnen können. Aber die gibt es in Deutschland momentan nicht, anders als in unseren europäischen Nachbarländern.

Der Strompreis ist das zentrale Thema. Welche Erwartungen haben Sie darüber hinaus an eine neue Bundesregierung?
 
Strom ist der Kernpunkt, um den herum sich alles entwickelt. Das ist der wesentliche Faktor bei der Wirtschaftlichkeitsrechnung. Wir erwarten von einer neuen Bundesregierung als Sofortmaßnahme, dass die Übertragungsnetzentgelte wieder abgesenkt werden auf das Niveau von 2023. Das lässt sich relativ schnell machen, kostet auch nicht viel Geld und könnte ein guter erster Schritt sein. Die Gelder dafür sind im Klima- und Transformationsfond eigentlich vorhanden. Und wir erwarten einen verlässlichen Plan, wie die strom- und energieintensive Industrie wieder zu einem verlässlichen Energiepreis kommt, in welchen Schritten und in welchen Jahresscheiben. Wir erwarten also eine deutliche Senkung.

Zum zweiten brauchen wir eine konsequente Neugestaltung des Handelsschutzes für den Stahlbereich. Es müssen sofort Gespräche mit der EU-Kommission aufgenommen werden, um die Schutzmechanismen so zu gestalten, dass sie auch wirksam sind. Heute sind sie das nicht. Das Einzige, was auf dem europäischen Stahlmarkt in den letzten Jahren gewachsen ist, waren die Importmengen. Das zeigt, dass unsere Werkzeuge zahnlos sind.

Wenn wir uns das Thema Dekarbonisierung anschauen, dann erwarten wir, dass Rahmenbedingungen dafür gesetzt werden, wie mit Importen umzugehen ist, die aus CO2-immitierender Industrie kommen. Wenn dann 2026 das Abschmelzen der CO2-Zertifikate einsetzt, erwarten wir ein wirksames Instrument, das die Verlagerung von CO2-Emissionen verhindert und sicherstellt, dass unsere Investitionen sicher sind.

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Zusammengefasst erwarten wir von einer neuen Bundesregierung in den ersten hundert Tagen einen Stahlaktionsplan. Da hängen Arbeitsplätze und Wertschöpfung dran. Jeder Euro, der in der Stahlindustrie in Deutschland investiert wird, generiert etwa drei Euro Umsatz in der Zuliefererindustrie, die häufig mittelständig ist. Ein Stahlaktionsplan sollte das Thema Energie aufgreifen, ein Bekenntnis zur Industrie geben und Schutzmaßnahmen vor internationalen Überkapazitäten enthalten.

Die Investitionen in grünen Stahl sollen durch eine Förderung in Milliardenhöhe durch den Bund flankiert werden. Die AfD hat angekündigt, mit ihr werde es keine Subventionen in grünen Stahl geben. Was würde es für Eisenhüttenstadt bedeuten, wenn die Unterstützung auf dem Weg der Dekarbonisierung wegfallen würde?
 
Wir widersprechen der publizierten Idee der AfD grundsätzlich. Dieser Förderungen bedarf es, weil die Dekarbonisierung eine politische und gesellschaftliche Aufgabe ist. Einer der Kernpunkte der Dekarbonisierung ist ja, dass wir existierende Produktionskapazitäten ersetzen müssen. Der so erzeugte Stahl kostet aber mehr. Und das ist der Punkt, warum es solche staatliche Unterstützung braucht. Üblicherweise ist eine Investitionsentscheidung getrieben von der Aussicht auf eine Kosten-, Produktivitäts- und Profitabilitätsverbesserung. Da muss ein Effekt da sein, der eine Investition gestattet, die höhere Kosten aufweist. Das ist der Grund, warum das nur mit staatlicher Unterstützung geht. Es ist also ein falsches, nicht verstandenes Setup, was da von der AfD kommuniziert worden ist.

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Also müssen sich die Eisenhüttenstädter keine Sorgen machen? Hier wird weiter, auch noch in diesem Jahr, investiert?
 
Wir haben und werden in Eisenhüttenstadt einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag investieren, in den Erhalt der bestehenden Equipments. Das macht man nur, wenn man das auch planmäßig und sicher weiter betreiben will. Aber wir stecken Geld natürlich auch in Verbesserung- und Zukunftsinvestitionen. Wir stellen kein Equipment ins Risiko, unabhängig davon, wie schnell sich die Rahmenbedingungen für eine zukünftige Entscheidung zum Thema Dekarbonisierung entwickeln werden. Wir werden also sicherstellen, dass das, was wir an Kernequipment haben, auch für die Zukunft weiterbetrieben werden kann.
 
Vielen Dank für das Gespräch!

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine gekürzte und redigierte Fassung.
 
Das Interview führte Michael Lietz für Antenne Brandenburg
 
Sendung: Antenne Brandenburg, 04.02.2025, 14:10 Uhr