Der Trebbiner Bahnhof bei Regen. (Quelle: dpa/Soeren Stache)

Brandenburg Todesfall eines 19-Jährigen wird erneut Thema im Brandenburger Rechtsausschuss

Stand: 15.05.2025 06:24 Uhr

Am 23. August 2019 wird Fritz G. in Trebbin von einem Zug überfahren. Die Staatsanwaltschaft geht von einem Unglücksfall aus und hat die Ermittlungen zum zweiten Mal eingestellt. Jetzt soll der Fall erneut im Rechtsausschuss behandelt werden. Von Gabi Probst, rbb24 Recherche

"Mit der neuen Wiederaufnahme des Verfahrens werden wir auch weiteren Spuren nachgehen, um zu versuchen, den Tatvorfall in weiterer Hinsicht aufzuklären. Aber ich möchte auch vorwarnen, ich kann Ihnen nicht versprechen, dass uns das auch gelingen wird", sagte die ehemalige Justizministerin Susanne Hoffmann (CDU) am 9. November 2023 im Rechtsausschuss des Brandenburger Landtages.
 
Als die Eltern von Fritz G. das hören, schöpfen sie Hoffnung, endlich Antworten zum Tod ihres Sohnes zu bekommen. "Man hatte so Hoffnung, jetzt geht es los, jetzt wird was gemacht. Aber es sollte sich leider anders bewahrheiten." Die Mutter von Fritz, Dagmar G. aus Ludwigsfelde, hat Tränen in den Augen, als sie das sagt.

Bahnhofsschild in Trebbin (Quelle: imago images/S. Steinach)
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Am 23. August 2019 wird Fritz G. in Trebbin von einem Zug überfahren. Polizei und Staatsanwaltschaft gehen sofort von einem Suizid aus. Doch die Eltern glauben das nicht. Jetzt muss die Staatsanwaltschaft Potsdam den Fall neu aufrollen. Von Gabi Probst, rbb24 Recherchemehr

Eltern und Privatermittler: Zweifel am Ermittlungsergebnis

Der 19-jährige Fritz wird am 24. August 2019 morgens neben den Bahngleisen in Trebbin tot aufgefunden, vom Zug überfahren. Doch wie er ums Leben gekommen ist, ist bis heute umstritten. Dazu trägt auch die Polizei bei, die damals diverse Spuren am Tatort nicht ordnungsgemäß sichert.
 
2023 macht der rbb Zweifel am Ermittlungsergebnis öffentlich. Die Generalstaatsanwaltschaft ordnet die Wiederaufnahme des Falls an. Nach Informationen von rbb24 Recherche nehmen die ermittelnden Polizisten danach den Fall ernst und erstellen einen umfangreichen Maßnahmenkatalog für weitere Ermittlungen. Doch nach Einschätzung der Rechtsanwältin der Eltern, Petra Klein, ist nur ein geringer Teil davon umgesetzt worden.
 
Ende 2024 stellt die zuständige Staatsanwaltschaft die Ermittlungen erneut ein. Es sei kein Fremdverschulden erkennbar. Doch aus Sicht der Eltern von Fritz, ihrer Anwältin und des von ihnen engagierten pensionierten LKA-Ermittlers Detlef Schrader wurden bis heute viele Indizien nicht berücksichtigt und offene Fragen nicht wirklich beantwortet.

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Fragen bleiben unbeantwortet

Die Leiche von Fritz wird morgens 200 Meter vom Bahnsteig entfernt neben dem Gleis aufgefunden. Am Abend zuvor ist der 19-Jährige auf einem Grillfest in der Agrar-Genossenschaft Trebbin, wo er zum Mechatroniker ausgebildet wird. Fritz sei freundlich gewesen, hätte sich "tierisch gefreut" dort zu arbeiten, sagt sein Meister im rbb-Interview.
 
Gegen 20:30 Uhr sei Schluss gewesen, sagt dieser weiter. Kollegen wollen ihn dann zwischen 21:15 Uhr und 21:30 Uhr am Bahnhof Trebbin abgeliefert haben, sagen sie der Polizei. Die Fahrzeit zum Bahnhof beträgt maximal zehn Minuten. Was in der Zwischenzeit geschieht, ist bis heute nicht aufgeklärt. Ein Gutachter liest den Schrittzähler des Handys aus, das erst später ausgeschaltet wurde. Das Ergebnis: die letzten Schritte werden an dem Abend um 20:24 Uhr aufgezeichnet.
 
Aber wie kann Fritz dann später auf die Gleise gelaufen sein, wo er gefunden wird? Warum liegt sein Hosengürtel auf dem Bahnsteig? Zu wem gehören die Blutspuren, die sich auf seiner Geldbörse, seinem Ausweis und Schlüsseln finden? Warum fehlt eine Fingerkuppe? Auf diese und viele andere Fragen gibt es bis heute keine Antwort. Die Polizei Ludwigsfelde fertigt damals keine Fotos vom Fundort der verstreut liegenden persönlichen Sachen an.

Detlef Schrader war bis zu seiner Pensionierung Ermittler im Landeskriminalamt Berlin. Da die Polizei die Fundorte der persönlichen Sachen von Fritz nicht ordentlich dokumentiert habe, hätte man nach Schraders Auffassung die Sanitäter und den Notarzt dazu vernehmen können, die als Erste am Tatort waren. Er kann auch nicht nachvollziehen, warum andere mögliche Zeugen, zum Beispiel vom Grillfest, nicht befragt wurden. "Und wir wissen bis zum heutigen Tage nicht, zu welchem Zeitpunkt Fritz verstorben ist. Wir kennen noch nicht den Zug, der ihn überfahren hat und das ist ganz bedeutsam für die Todesermittlung", sagt Schrader im Interview mit dem rbb.
 
All diese Fragen und Ermittlungsansätze werden im August 2023 persönlich dem damaligen Leiter der Staatsanwaltschaft, Wilfried Lehmann, vorgelegt. Erfolglos. Auch rbb-Recherchen zu Zeugen, die bestätigen, dass es im Umfeld des Bahnhofs am Abend des Todes lautstarke Auseinandersetzungen gibt, bleiben unberücksichtigt. Bis heute ist eine wichtige Zeugin nicht vernommen.

Anonymer Hinweis und Bedrohung der Mutter

Bei der Polizei geht nach der rbb-Veröffentlichung ein anonymer Hinweis auf einen möglichen Täter ein. Die Polizei geht dem erst nach, hört aber mittendrin auf, sagt Rechtsanwältin Klein. Auch einer anderen Spur wird nicht nachgegangen. Nachdem die Wiederaufnahme des Falls öffentlich bekannt wird, wird Dagmar G. wenig später massiv gestalkt, meist auf der Arbeit. Sie wird beobachtet, gefilmt und fotografiert. Dagmar G. hat "wahnsinnige Angst", wie sie sagt.
 
"Die Angst ist so groß, dass ich mich nicht mehr auf die Arbeit konzentrieren kann. Du guckst, wo ist der, wo ist der? Oh, die haben dich wieder im Blick." Sie lässt das von Freunden dokumentieren. Diese übergeben das Material den Ermittlern. Dagmar G. stellt Strafanzeige. Doch das Verfahren wird eingestellt. Fotografieren im öffentlichen Raum sei keine Straftat, schreibt die Staatsanwaltschaft ihrer Rechtsanwältin.

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Immerhin wird der Gürtel von Fritz auf DNA-Spuren untersucht. Gefunden wird aber nur eine marginale Spur von ihm, in der Mitte des Gürtels. Ansonsten gibt es überhaupt keine weiteren Spuren – auch nicht von Fritz.
 
Nach gut einem Jahr, Ende 2024, stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren erneut ein. Im Ergebnis seien keine greifbaren Anhaltspunkte dafür erbracht worden, "dass der Tod des Verstorbenen auf ein Fremdverschulden zurückzuführen sein könnte".
 
Unverständnis bei Strafrechtsprofessor Uwe Hellmann von der Universität Potsdam. Er hat sich mit dem Fall beschäftigt und sieht Defizite bei den Ermittlungen. Weil fast keine DNA am Gürtel gefunden wird, auch nicht an der Lasche und an der Schnalle, wo man diese zumindest von Opfer vermuten würde, hätten bei der Staatsanwaltschaft "einige Alarmglocken" anklingen müssen. Es sei nach Hellmanns Einschätzung nicht auszuschließen, dass mögliche Spuren abgewischt wurden. "Das Opfer hat das bestimmt nicht getan", so Hellmann, der hier "Aufklärungsmängel" sieht.
 
"Diese zahlreichen nicht nachvollziehbaren Umstände dürfen nicht dazu führen, das Verfahren einzustellen und zu sagen, wir wissen es nicht, sondern müssen gerade dazu führen, weiter zu ermitteln."
 
Auf Anfrage des rbb teilt die Staatsanwaltschaft Potsdam dazu mit, "dass es sich hierbei um spekulative Erwägungen handelt, zu denen die Staatsanwaltschaft nicht berufen ist. Im Ergebnis haben die festgestellten Tatsachen jedenfalls keinen Anlass gegeben, sich mit dieser hypothetischen Fragestellung auseinander zu setzen."

Maßnahmenkatalog bleibt Papiertiger- aber Politik mischt sich ein

Nach Wiederaufnahme des Falls 2023 legt die Polizei der Staatsanwaltschaft einen dreiseitigen Maßnahmenkatalog für weitere Ermittlungen vor. Doch dieser Katalog bleibt ein Papiertiger, wird nicht abgearbeitet. Rechtsanwältin Petra Klein dazu: "Ich habe den Eindruck, aufgrund von Vermerken in der Akte, dass die Staatsanwaltschaft bremsend tätig geworden ist." Zu diesem Vorwurf befragt, weist die Staatsanwaltschaft darauf hin, "dass Auskünfte aus ermittlungstaktischen Maßnahmen nicht erteilt werden".
 
Anwältin Klein will das so nicht stehen lassen, wendet sich an die Politik, die sich nun noch einmal mit dem Fall beschäftigen will. Der Brandenburger CDU-Landtagsabgeordnete Danny Eichelbaum kennt den Fall seit 2023. Damals war er Mitglied, heute ist er Vorsitzender des Rechtsausschusses. Er sei damals froh über den Willen der Justizministerin gewesen, den Fall noch einmal aufzurollen. Doch dass so wenig passiert ist, müsse jetzt aufgeklärt werden.

Ich konnte keinen Abschied von meinem Kind nehmen. Man wird zwar mürbe, aber man steht irgendwie wieder auf, weil man ja immer noch hofft. Ich möchte nicht aufgeben.

"Die Indizien sprechen dafür", sagt Eichelbaum, "dass es hier eine Fremdeinwirkung gegeben haben könnte. Und wir sind es doch den Eltern schuldig, diesen tragischen Fall aufzuklären. Dafür müssen alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Und wir werden es deshalb auf die nächste Tagesordnung des Rechtsausschusses nehmen." Unterstützung gibt es dabei auch vom Ausschussmitglied Erik Stohn (SPD). Auch er schließt eine Befassung im Rechtsausschuss nicht aus. Er sei im Austausch mit der Rechtsanwältin der Eltern und will die Unterlagen sichten. Dann wolle er sich "an den Minister wenden, damit wir da einen Schritt weiterkommen", wie er im rbb-Interview sagt.
 
Sowohl die Eltern von Fritz als auch ihre Rechtsanwältin werden keine Ruhe geben, kündigen sie an. "Ich möchte die Aufklärung", sagt Dagmar G. "Ich konnte keinen Abschied von meinem Kind nehmen. Man wird zwar mürbe, aber man steht irgendwie wieder auf, weil man ja immer noch hofft. Ich möchte nicht aufgeben."

Sendung: rbb24 Abendschau, 15.05.2025, 19:30 Uhr