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Brandenburg Waldzustand: Für die Revierförsterin ist es längst fünf nach zwölf
Ein Waldspaziergang mit Revierförsterin Thekla Thielemann in der Nähe von Ferch: Am schlechten Zustand der Bäume wird deutlich, wie sehr die Trockenheit dem Wald zugesetzt hat. Und nachwachsende Bäume werden vom Wild gefressen.
- Alte Laubbäume sind vielfach nicht mehr zu retten
- Die Walderneuerung funktioniert nur über den Schutz der jungen Bäume
- Hohe Wild-Populationen stehen der Erholung des Waldes entgegen
Revierförsterin Thekla Thielemann betritt ihr Revier "Flottstelle" kurz hinter dem Bahnhof Ferch-Lienewitz (Potsdam-Mittelmark). An diesem Februarmorgen ist es bedeckt, kalt und irgendwie will es nicht richtig hell werden. Die Försterin in ihrem orangefarbenen Fleecepullover ist keine 100 Meter gegangen, schon liegen links und rechts des Waldwegs Kartons und Verpackungen von Duschkabinen. "Alles, was man nicht gebrauchen kann und meint, man kann es nicht entsorgen, landet im Wald", sagt sie und wirkt einigermaßen ernüchtert.
Ganze Wagenladungen mit Bauschutt werden im Wald entsorgt. Das habe leider zugenommen. Auch Hausmüll, den man an sich einfach entsorgen könnte, werde immer öfter im Wald abgeladen. "Ja", sagt die Revierförsterin, das ärgere einen schon ziemlich.
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Häufig laden Leute ihren Müll im Wald ab.
Der Respekt ist verloren geht verloren
"Der Wald ist kostbar, er ist ein sehr kostbares Gut", sagt sie, "aber der Respekt ist an vielen Stellen verloren gegangen. Wir räumen das dann weg, aber in vier, fünf Wochen spätestens liegt der nächste Müllhaufen da."
Wenige Meter weiter im Wald wird auch dem ungeübten Betrachter offensichtlich, was im Waldzustandsbericht 2024 für den Brandenburger Wald schwarz auf weiß nachzulesen ist: Dem Wald geht es ausgesprochen schlecht und dabei spielt das ärgerliche Müllproblem noch nicht einmal eine Rolle.
Noch nie waren so viele Bäume im Wald geschädigt. Bei den Laubbäumen weisen Buchen zu 64 Prozent und Eichen zu 75 Prozent deutliche Schäden auf. Nur drei Prozent der Eichen und 5 Prozent der Buchen sind gesund. Der Zustand sei dramatisch, formuliert es Umweltministerin Hanka Mittelstädt (SPD) bei der Vorlage des Waldzustandsberichts 2024.
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Revierförsterin Thekla Thielemann
Viele alte Bäume haben keine Zukunft
Der Blick von Thekla Thielemann geht Richtung Baumkrone einer alten Eiche. 130 bis 140 Jahre ist der Baum schätzungsweise alt. Jetzt ist er tot. Abgestorben. Die Trockenheit der letzten Jahre war zu viel für den alten Baum. Daran änderten auch einzelne Sommer mit mehr Niederschlag nichts. Auch die umstehenden Bäume, mehrere Alteichen und Buchen, haben keine Zukunft.
Traurig sehen die Bäume aus, findet die Revierförsterin, die Kronen erinnern sie jedes Mal an "Kraken". Dass Bäume absterben, gehöre natürlich zur Natur dazu. Allerdings forderten die klimatischen Veränderungen der letzten Jahre dem Wald viel ab. Aber ein gesunder Wald könne darauf reagieren.
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Entscheidend sind die jungen Bäume
Trotzdem ist es jetzt allerhöchste Zeit für eine umfassende Walderneuerung, sagt sie. "Wir haben nicht fünf vor Zwölf, sondern längst fünf nach zwölf."
Entscheidend sei die nächste Generation der Bäume, die Jungbäume, der "Unterstand", wie es im Fachjargon heißt. "Wir müssen die Bestände vielschichtig aufbauen, mit ganz verschiedenen Baumarten."
Diese säen sich zum Großteil von allein aus, erklärt die Revierförsterin "da muss der Mensch gar nichts dazu tun, das macht der Wald von selbst." Diese kleinen Bäume halten das Wasser in der Erde und vermindern die Verdunstung. Sie wurzeln auf natürliche Art, passen sich an. Solch natürlich wachsenden Sprösslinge seinen viel besser auf ihre Umwelt angepasst als die Pflanzen aus der Baumschule, sagt Försterin Thielemann, noch dazu seien sie völlig kostenlos. Doch die Jungbäume haben ein Problem: das Wild.
Zu viel Wild ist das Problem
Der Arm der Försterin beschriebt einen großen Bogen. "Auf dieser Fläche vor uns erholt sich der Wald von allein", erklärt sie. "Kleine Buchen und Eichen wachsen, fünf, sechs verschiedene Baumarten zwischen Kiefern, ganz wie es die Natur will." Und nicht ohne Stolz fügt sie hinzu, dass das alles ohne Umzäunung geschehe.
In vielen Forsten hätte so eine freie Fläche keinerlei Chance, denn es gibt viel zu viel Wild. Jäger und Jägerinnen, die eine Jagd gepachtet haben, wollen in ihrer Freizeit Wild schießen, erläutert die Försterin. Damit das aber funktioniere und sie tatsächlich auch Wild vor die Flinte bekommen, müsse es viel Wild geben. Zu viel im Verhältnis zur Waldfläche.
Nachwachsende Bäume haben da keine Chance, denn sie werden einfach weggefressen. So klar nachzuvollziehen und doch so kompliziert. Zumindest, wenn die verschiedenen Interessen von Förstern, privaten Waldbesitzern und Jägern aufeinanderprallen.
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Die Jagdinteressen gehen zu Lasten des Waldumbaus
"Was wir hier in unserem Revier machen, ist, wir schießen das Wild", sagt die Försterin entschieden. Dafür werden sie und die Kolleginnen und Kollegen regelmäßig von der Jägerlobby angefeindet. "Ihr schießt alles tot" bekommt die Försterin immer wieder zu hören. "Nein", so sei es natürlich nicht, sagt sie entschieden. Es gehe einzig und allein um das waldverträgliche Maß. Jeder Förster merke das, wenn er tagein, tagaus durch sein Revier gehe. "Wir sehen, ob der Wald von unten her wachsen kann oder ob er es nicht kann."
Die Stellschraube Wild müsse unbedingt angegangen werden, meint Thielemann. Nur dann habe der Brandenburger Wald eine Zukunft. Eine Überzeugung, zu der auch der Waldzustandsbericht 2024 kommt, wenn es heißt, dass die nächste Baumgeneration mit einem nach wie vor "viel zu hohem Wildverbiss" zu kämpfen habe und ein konsequentes Jagdmanagement gebraucht werde.
Wie schwer eine Einigung in dieser Frage ist, zeigt die Novelle des Jagdgesetzes, das der vormalige Umweltminister Axel Vogel (B'90/Grüne) 2023 auf den Weg gebracht hat. Die Gesetzesnovelle sollte das Jagen in Brandenburg erleichtern und so den Baumbestand schützen. Verabschiedet wurde es bisher nicht.
Mit weniger Wild erholt sich der Wald
Im Revier von Försterin Thielemann gibt es einen Abschussplan, der regelmäßig überprüft und angepasst werde. Entscheidend sei der Verbiss an den jungen Bäumchen. Ist er zu hoch, wird gejagt. So einfach und doch wieder nicht, weil es einen langen Atem, Mut und Rückgrat erfordere.
Der Wald ist vielerorts krank, doch er kann sich erholen, da ist sich die Försterin sicher. Im Revier "Flottstelle" ist das an vielen Stellen gut zu sehen. Das sei "kein Hexenwerk" oder einem besonders günstigen Standort geschuldet. "Nein", so die Revierförsterin entschieden, "das alles ist ein Resultat dessen, was wir längst wissen und konsequent umsetzen. Wir müssen nur handeln, und zwar schnell."
Doch wie geht sie mit dem Wissen um das Richtige und den egoistischen Lobbyinteressen um, ohne zu verzweifeln?
Ganz einfach, sagt die Försterin, wenn wir den Wald, wie in unserem Revier, "gesunden sehen, dann ist das ein sehr schönes Gefühl. Dann weißt du, dass du es richtig machst" und dann sei der Beruf Förster der schönste auf der Welt.