Tobias Niederschlag, 2019

Sachsen Festival im Gewandhaus: Warum Leipzig den russischen Komponisten Schostakowitsch feiert

Stand: 15.05.2025 04:00 Uhr

Beim Schostakowitsch-Festival am Gewandhaus Leipzig werden ab Donnerstag zwei Wochen lang Werke des russischen Komponisten (1906–1975) aufgeführt. Darunter sind alle Sinfonien und Solokonzerte, Kammermusik und eine Oper. Schostakowitsch bewegte sich in der Sowjetunion zwischen Widerstand und Anpassung. Im Interview erklärt der Schostakowitsch-Experte und Gewandhaus-Konzertbüroleiter Tobias Niederschlag, warum der Komponist damit "erschreckend aktuell" ist – und welchen Leipzig-Bezug er hatte.

Von MDR Kulturdesk
  • Der Leiter des Gewandhaus-Konzertbüros, Tobias Niederschlag, betont bei MDR KULTUR die politische Aktualität von Schostakowitsch.
  • Unter der Leitung von Andris Nelsons und Anna Rakitina werden alle Sinfonien und Solokonzerte Schostakowitschs aufgeführt.
  • Dabei knüpft das Festival auch an Leipziger Traditionen wie den Bach-Wettbewerb und einen Schostakowitsch-Zyklus unter Kurt Masur an.

MDR KULTUR: Der russische Komponist Schostakowitsch wird durchaus ambivalent gesehen – in einer politisch aufgeladenen Zeit, mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine. Hat das zu größeren Debatten im Vorfeld geführt?

Tobias Niederschlag: Nein, wir haben das Festival ja schon vor einigen Jahren geplant, als das noch kein Thema war. Aber es ist uns natürlich im Laufe der Zeit immer mehr bewusst geworden, dass man vor diesem Hintergrund auf bestimmte Dinge in der Biografie besonders hinweisen muss. Schostakowitsch hat sich immer auf einem schmalen Grat bewegt zwischen offizieller Anpassung aber auch Widerstand – oder zumindest Dingen, die sehr kritisch sind, wo er selber den Finger in die Wunde gelegt hat. Häufig auch, indem er historische Parallelen aufgezeigt hat in seinen Werken. Und das herauszuarbeiten, ist uns wichtig.

Schostakowitsch Festival Leipzig

Gesichter hinter dem Schostakowitsch-Festival: Tobias Wolff (Intendant Oper Leipzig), Andris Nelsons (Gewandhauskapellmeister), Anna Rakitina (Dirigentin Festivalorchester), Tobias Niederschlag (Leiter Gewandhaus-Konzertbüro), Andreas Schulz (Gewandhausdirektor)

Er ist ja selber auch zweimal öffentlich verurteilt worden in der Sowjetunion, wurde dann aller Ämter enthoben, seine Musik durfte nicht mehr gespielt werden, und er hat sich dann rehabilitiert. Das war schon kein ganz einfaches Schicksal. Heute wird Schostakowitsch vor allem für die Werke gewürdigt, die gerade diesen Charakter haben, die kritische Dinge anmerken, oft auch auf verschiedenen Ebenen. Weniger die Propaganda-Werke.

Dmitri Schostakowitsch – Klang zwischen Anpassung und Aufbegehren

Haben Sie da Schostakowitsch auch noch noch mal andes kennengelernt?

Nein. Aber ich habe festgestellt, dass es viele Menschen gibt, die mit der Biografie von Schostakowitsch gar nicht so vertraut sind. Eigentlich kann oder muss man ja sagen: Wenn, dann sollte man diese Musik jetzt spielen. Also ein Komponist, der zwar nicht dieselbe Situation, aber Vergleichbares selber miterlebt hat, es in seiner Musik auch zum Ausdruck gebracht hat und auch Dinge angesprochen hat, die leider immer noch erschreckend aktuell sind.

Dirigent und Orchester

Andris Nelsons ist Gewandhauskapellmeister und Chefdirigent des Boston Symphony Orchestra.

Sie selbst haben sich auch intensiv mit dem Werk von Schostakowitsch beschäftigt. Was fasziniert Sie so an der Musik, dass sie diesem Komponisten so eine große Bühne geben?

Das faszinierende ist, dass er ein unglaublich vielseitiger Komponist war. Er hat ja eigentlich für alle Genres geschrieben, nicht nur die großen, tragischen, auch kritischen Sinfonien oder die sehr intimen Streichquartette. Es gibt auch sehr viel Unterhaltungsmusik von ihm, Filmmusiken, Ballettmusiken – ja: auch Propagandawerke. Aber das alles zusammen, das ist schon unglaublich interessant.

Also auch ein Komponist, dem es sehr leicht von der Hand ging, zu komponieren, obwohl die Werke natürlich teilweise sehr komplex sind. Aber er hat im Kopf komponiert und musste es dann eigentlich nur niederschreiben. Das kennt man in dieser Form eigentlich nur von Wolfgang Amadeus Mozart. Auch in der Hinsicht wirklich eine Ausnahmeerscheinung.

Schostakowitsch Festival Leipzig

Zum Festival spielen neben dem Gewandhausorchester auch das Boston Symphonie Orchestra und ein Festival-Orchester.

Und dann natürlich auch, dass er unter widrigsten Umständen einen Weg gefunden hat, seinen eigenen Überzeugungen und auch Idealen treu zu bleiben, oft in einer Musik, die mehrdeutig ist, doppeldeutig also, wo das, was man vordergründig hört, etwas anderes ist, als was eigentlich in einer unteren Ebene gemeint ist. Das ging damals gar nicht anders, aber das finde ich schon wirklich sehr, sehr faszinierend. Er ist einfach auch ein ganz großartiger Musiker. Eine Musik, die einen unmittelbar anspricht, auch emotional. Also ich kenne niemanden, der diese Musik hört und nicht von dieser Musik eingenommen ist.

Eine große Triebfeder in seinem Schaffen war das Werk von Johann Sebastian Bach. Wie setzt sich diese Verbindung von Bach und Schostakowitsch jetzt im Festival fort?

Es gibt in Leipzig eine gewisse Schostakowitsch-Tradition. Er war 1950 hier, zum großen Bach-Jubiläum, dem 200. Todestag. In diesem Jahr hat zum ersten Mal der Bach-Wettbewerb stattgefunden, und Schostakowitsch saß in der Jury, und die Pianistin Tatjana Nikolajewna, die wie er aus der Sowjetunion kam, hat den ersten Preis gewonnen.

Und er hat dann selber im Anschluss an seinen Leipzig-Besuch einen eigenen großen Zyklus von 24 Präludien und Fugen, Opus 87, komponiert, in Anlehnung an das wohltemperierte Klavier. Dieser Zyklus wird bei uns natürlich auch einen besonderen Stellenwert einnehmen. Er wird interpretiert von Julianna Awdejewa, die diesen großen Zyklus extra für unser Festival einstudiert.

Plakat: Schostakowitsch Festival Leipzig

Das Schostakowitsch Festival findet im Gewandhaus und in der Oper Leipzig statt.

Zum anderen hat aber auch das Gewandhausorchester selber eine große Schostakowitsch-Tradition, die schon auf 1929 zurückgeht, als Bruno Walter hier die erste Sinfonie dirigiert hat. Aber bedeutend war dann vor allem auch in den 70er-Jahren ein großer Zyklus aller Sinfonie von Schostakowitsch. Zwischen 1976 und 1978 hat Kurt Masur alle Sinfonien angesetzt – der erste komplette Sinfonien-Zyklus von Schostakowitsch weltweit.

Das war ein epochales Ereignis. Und darauf beziehen wir uns, auch wenn das damals auf zwei Spielzeiten verteilt und eine Gegenüberstellung mit Ludwig van Beethoven war. Wir konzentrieren uns jetzt ganz auf Schostakowitsch – in zweieinhalb Wochen. Aber auch da sind alle Symphonien dabei.

Quelle: MDR KULTUR (Julia Hemmerling), redaktionelle Bearbeitung: lm, hki

Informationen zum Festival

Schostakowitsch Festival Leipzig
Vom 15. Mai bis 1. Juni 2025
Das gesamte Programm finden Sie hier.

Das Eröffnungskonzert am 15. Mai um 19:30 Uhr ist bereits ausverkauft, wird aber von Arte live übertragen. Arte überträgt außerdem das Konzert (7. Symphonie) am 22. Mai, 19:30 Uhr.