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Sachsen-Anhalt "Fast schon kindeswohlgefährdend": Nachlassender Impfschutz bei Kindern in Sachsen-Anhalt

Stand: 14.02.2025 12:50 Uhr

Sachsen-Anhalts Kinder werden immer seltener gegen eine Reihe von Krankheiten geimpft, die im schlimmsten Fall tödlich enden können. In welcher Region die Impfbereitschaft besonders niedrig ist und an wen sich Eltern wenden können, die beim Thema Impfen unsicher sind.

Von Manuel Mohr, MDR Data

In Sachsen-Anhalt ist der Anteil der Kinder, die gemäß den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) Impfungen erhalten, in den zurückliegenden Jahren kontinuierlich gesunken. Das geht aus Daten des Landesamts für Verbraucherschutz (LAV) hervor, die im Rahmen der gesetzlich verpflichtenden Schuleingangsuntersuchungen jährlich landesweit erhoben werden.

Von allen Kindern, die 2015 in Sachsen-Anhalt eingeschult wurden, waren beispielsweise 95,7 Prozent gegen Kinderlähmung geimpft. Beim Einschuljahrgang 2024 waren es nur noch 88,4 Prozent.

Auch bei den Impfungen gegen Tetanus, Diphtherie, Hepatitis B, Haemophilus influenzae b und Keuchhusten (Pertussis) – die oftmals als Kombinationsimpfstoff gemeinsam verabreicht werden – sank der Anteil der vollständig geimpften Kinder innerhalb weniger Jahre deutlich ab.

Niedrige Impfquoten bei Kindern in der Altmark

Regional betrachtet unterscheiden sich in Sachsen-Anhalt die Impfquoten der Einschulungskinder deutlich. Über alle betrachteten Impfungen hinweg verzeichnen die Landkreise Börde und Wittenberg die höchsten Impfquoten. Im Gegensatz dazu stechen die Stadt Halle und der Altmarkkreis Salzwedel mit vergleichsweise niedrigen Impfquoten hervor.

Bei der Impfung gegen Diphtherie beispielsweise variieren die Impfquoten je nach Region zwischen 84,2 Prozent (Altmarkkreis Salzwedel) und 94,1 Prozent (Landkreis Börde).

Was ist Diphtherie
Diphtherie ist eine Infektionskrankheit, die durch Bakterien ausgelöst wird. Laut Robert Koch-Institut (RKI) sind erste Symptome einer Rachendiphtherie Halsschmerzen, hohes Fieber und Schluckbeschwerden. Hinzu kommen Heiserkeit, pfeifende Geräusche beim Einatmen und Schwellungen der Halslymphknoten.

In Deutschland sterben nur wenige Menschen an Diphtherie. In den vergangenen drei Jahren betraf das laut RKI fünf Menschen. Zuletzt starb ein Junge, nachdem er im Herbst vergangenen Jahres erkrankt war. Der damals Zehnjährige aus Brandenburg war nach Medienangaben nicht geimpft.

Auch wenn die Impfquoten bei Vorschulkindern bereits seit 2015 rückläufig sind, nimmt der Magdeburger Kinderarzt und Ärztekammer-Vorstand Gunther Gosch besonders seit der Corona-Pandemie eine verstärkte Impfmüdigkeit bei den Eltern in seiner Praxis war. Denn Impflücken, die erst bei Schuleingangsuntersuchungen sichtbar werden, gehen oftmals auf bereits Jahre zuvor verpasste Impfungen in den ersten beiden Lebensjahren der Kinder zurück.

Gosch sagte MDR SACHSEN-ANHALT, dass für ihn die sinkende Zahl der Diphtherie-Impfungen alarmierend sei. "Ich finde das katastrophal und schon fast kindeswohlgefährdend, dass Eltern ihren Kindern eine Impfung gegen eine tödlich verlaufende Erkrankung vorenthalten."

Kinderarzt Dr. Gunther Gosch aus Magdeburg

Dr. Gunther Gosch, niedergelassener Kinderarzt in Magdeburg

Im aktuellen Bericht zur Impfsituation bei Kindern im Vorschul- und Schulalter in Sachsen-Anhalt kommt das LAV zu dem Ergebnis, "dass die Grundimmunisierungen bei den Kindern tendenziell zu spät erfolgen." Untersucht wurde auch, welche Einflussfaktoren dafür sorgen, dass der Impfstatus signifikant häufiger vollständig war. Dazu gehören laut LAV-Bericht unter anderem das Wahrnehmen aller altersgemäß relevanten Vorsorgeuntersuchungen sowie der ganztägige Besuch einer Kindertagesstätte.

Viele Impfungen gegen Masern, aber keine Herdenimmunität

Bei Masern, Mumps und Röteln sind die Impfquoten der Einschulungskinder in Sachsen-Anhalt in den zurückliegenden Jahren leicht angestiegen. Laut aktuellem Arzneimittelreport der Barmer Krankenversicherung ist dies vermutlich auf die Einführung der Impfpflicht bei Masern im März 2020 zurückzuführen. Seitdem müssen unter anderem Kinder ab einem Jahr eine Masern-Schutzimpfung oder ein ärztliches Zeugnis über das Vorliegen einer Masern-Immunität nachweisen. Bei Kindern ab zwei Jahren sind es mindestens zwei Masern-Schutzimpfungen oder Masern-Immunität.

In Sachsen-Anhalt sind laut Barmer-Auswertung knapp 87,7 Prozent der Zweijährigen vollständig gegen Masern geimpft. 2,6 Prozent der im Jahr 2020 geborenen Kinder wurden hingegen in den ersten zwei Lebensjahren überhaupt nicht gegen Masern geimpft. Um eine Herdenimmunität zu erreichen, müsste der Anteil der Geimpften bei mindestens 95 Prozent liegen, erklärt Axel Wiedemann, Landesgeschäftsführer der Barmer in Sachsen-Anhalt:

Bislang wird in keinem der Bundesländer die angestrebte Masernimpfrate von 95 Prozent in den ersten beiden Lebensjahren erreicht. Sachsen-Anhalt weist mit 87,7 Prozent vollständig gegen Masern geimpfte Kinder im Ländervergleich eine leicht überdurchschnittliche Impfquote auf. Das trifft auch auf eine Reihe von weiteren Impfungen zu.

Insgesamt erhielten laut Barmer-Arzneimittelreport knapp 63 Prozent der im Jahr 2020 geborenen Kinder in Sachsen-Anhalt bis zum Ende des zweiten Lebensjahres eine vollständige Grundimmunisierung gegen 13 Krankheiten gemäß den Empfehlungen der STIKO. Im Vergleich dazu lag der deutschlandweite Durchschnittswert bei nur rund 55 Prozent vollständiger Grundimmunisierung.

Kinderarztpraxen berichten von Impfmüdigkeit

HPV-Impfung in Sachsen-Anhalt bundesweit am höchsten

Die immer noch vergleichsweise hohe Impfbereitschaft in Sachsen-Anhalt zeigt sich in höheren Altersgruppen auch bei der Impfung gegen Humane Papillomviren (HPV). Diese werden von der STIKO für Mädchen und Jungen im Alter von neun bis 14 Jahren empfohlen. Laut Barmer sind in Sachsen-Anhalt knapp 76 Prozent der 17-jährigen Mädchen vollständig geimpft. Kein anderes Bundesland kann eine höhere Impfquote vorweisen. Bei den Jungen ist der Anteil der Geimpften deutlich niedriger, mit knapp 42 Prozent in Sachsen-Anhalt aber immer noch am höchsten.

Warum eine HPV-Infektion gefährlich werden kann
Jährlich erkranken in Deutschland etwa 6.250 Frauen und rund 1.600 Männer an Krebs, der durch eine HPV-Infektion verursacht wurde. Bei Frauen kommt es jährlich zu rund 4.600 neuen Krebserkrankungen am Gebärmutterhals, pro Jahr versterben etwa 1.500 Frauen daran. Bei zehntausenden Frauen müssen jährlich HPV-bedingte Krebsvorstufen am Gebärmutterhals entfernt werden. Bei Männern rufen Infektionen mit HPV-Hochrisiko-Typen hauptsächlich Krebs im Mund- und Rachenbereich sowie an Anus und Penis hervor. Quelle: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

Laut Barmer-Landesgeschäftsführer Wiedemann bieten die vergleichsweise hohen HPV-Impfquoten keinen Grund, sich auf den Ergebnissen auszuruhen, da immer noch jedes vierte Mädchen und mehr als jeder zweite Junge in Sachsen-Anhalt nicht oder nicht vollständig gegen HPV geimpft sei.

Eltern, die unsicher sind, welche Impfungen für ihr Kind sinnvoll sind und welcher Schutz welchem Risiko gegenübersteht, empfiehlt Wiedemann, sich Rat beim behandelten Arzt, der Krankenkasse oder dem öffentlichen Gesundheitsdienst zu holen:

MDR (Manuel Mohr, Kevin Poweska)