Mann und Frau auf Kabarettbühne

Sachsen-Anhalt Kiebitzensteiner in Halle: Politisches Kabarett steht vor großen Herausforderungen

Stand: 14.02.2025 04:02 Uhr

Politisches Kabarett bleibt relevant – das geht aus der MDR KULTUR Kabarettbefragung 2025 hervor. Demnach sehen die Kabaretts Polit-Satire als ihre wichtigste Aufgabe. Auch das Publikum geht vorrangig deshalb zu Aufführungen. Doch die Besucherzahlen gehen teilweise zurück – viele Menschen haben weniger Zeit und Geld, bei Jüngeren laufen Comedy-Inhalte in Sozialen Medien den Kabarettbühnen den Rang ab. "Die Kiebitzensteiner" in Halle sehen noch weitere Probleme für das politische Kabarett.

Von Anne Sailer, MDR Kulturdesk

Die beiden Kabarettisten Stephanie Hottinger und Michael Kost sitzen in einem leere Zuschauerraum in Halle und suchen nach Antworten. Warum wurden wieder nur wenige Karten verkauft? Warum muss wieder einmal eine Vorstellung wegen mangelnden Interesses abgesagt werden? Immer öfter fragen sie sich das.

Das Publikum verlangt nach politischen Statements. Michael Kost, Kabarettist |
Mehrere Stuhlreihen aus leeren Metallstühlen, überzogen mit rotem Stoff stehen mit den Rücken zur Kamera. Diese ist auf eine Bühne gerichtet. Mehrere Stoffbahnen umgrenzen die kleine Bühne. Rechts im Bild ist eine Theke mit Gläsern und Getränken zu erkennen.

Im Kabarett "Die Kiebitzensteiner" in Halle finden zwischen 60 und 100 Leute pro Vorstellung Platz.

Comedy verdrängt Kabarett

Noch vor Jahren, erzählt Hottinger, habe man vier-, sogar fünfmal in der Woche gespielt. Nach den coronabedingten Schließungen gab es dann nur noch an den Wochenenden Kabarett-Programme, weil weniger Publikum kam. Immerhin sind die Aufführungen, die sie noch spielen, oft ausverkauft. Auch andere Kabaretts aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, die an der MDR KULTUR Kabarettbefragung teilgenommen haben, verzeichnen seit Corona weniger Besucher.

In einer Grafik sind verschiedene Prozentzahlen zu sehen. Gefragt wurden Kabaretts nach den Besucherzahlen.

Die MDR-Befragung der Kabaretts hat gezeigt, dass bei 40 Prozent die Besucherzahlen zurückgehen.

Ein Grund für den Besucherrückgang ist für Hottinger die Corona-Pandemie. Aber sie vermutet auch ein gesunkenes Interesse an politischem Kabarett. Ihr Kollege Kost sieht die Schuld zudem bei den Sozialen Medien, die mit umfangreichen Comedy-Inhalten die Leute übersättigten.

Die Sozialen Medien übersättigen die Leute mit Comedy. Kabarettist Michael Kost |

"Kiebitzensteiner" haben älteres Stammpublikum in Halle

Hottinger nennt noch andere Gründe für den Besucherrückgang: "Die Kiebitzensteiner" im historischen Volkspark Halle hätten zwar ein Stammpublikum, das werde aber immer älter. Junges Publikum zu generieren falle schwer, denn Geld für Sichtbarkeit über Werbung gebe es keines. Mit 20.000 Euro jährlich unterstütze die Stadt zwar den Verein hinter dem Kabarett. Das Geld federe aber gerade mal die ausgefallenen Vorstellungen ab. Generell finanzieren sich Kabaretts laut der Befragung von MDR KULTUR vor allem selbst, bekommen kaum staatliche Förderung.

Kabarettbefragung

Die Kabaretts in Mitteldeutschland finanzieren sich vorrangig über den Eintritt – das zeigt die MDR-Befragung.

Satire kommt nicht immer an

Allen Entwickungen zum Trotz halten "Die Kiebitzensteiner" an ihrem klassischen politischen Kabarett fest. Dabei greifen sie aktuelle Themen auf, die möglichst viele Menschen bewegen. Sie pflegen die im Osten typische Ensemble-Spielweise: Eine Kunstfigur holt das Publikum über bekannte Lebenssituationen ab und äußert sich dabei satirisch. So entstehen Gags. Nur werde es immer schwieriger, Themen zu finden, über die viele oder gar alle Besucher lachen könnten.

Ein Mann mit einem leuchtend grünen Pullover und eine Frau in einem roten Jackett und kleinen Zetteln in den Händen blicken mit änglichen und skeptischen Blicken über und in die Kamera.

Der Meißner Michael Kost und die Schweizerin Stephanie Hottinger stehen schon seit vielen Jahren auf der Bühne in Halle.

Publikum hat weniger Wissen

Hottinger ist der Kontakt zum Publikum sehr wichtig, erzählt sie. In den Programmen interagiere sie stets mit den Menschen im Saal. Dabei falle ihr auf, dass das Ensemble immer weniger Wissen beim Publikum voraussetzen könne. Ein Beispiel: Wenn sie auf der Bühne vom Politiker Olaf Scholz als der "schweigenden Glatze" spreche, schaue sie immer öfter in ahnungslose Gesichter. Das erschwere politisches Kabarett enorm, konstatiert Hottinger.

Der Kontakt zum Publikum ist mir sehr wichtig. Stephanie Hottinger, Kabarettistin |

Bauchschmerzen bereitet ihrem Kollegen Kost auch die Publikumserwartung, Missstände zu thematisieren. Dass dieser Punkt wichtig ist, zeigt die Befragung des MDR-eigenen Meinungsbarometers MDRfragt mit rund 12.000 Menschen in Mitteldeutschland. Danach sieht gut die Hälfte der Befragten das Thematisieren von Missständen als zentrale Aufgabe von Kabarett, etwas weniger das Anprangern von Missständen.

Kost befürchtet, dass das Publikum Aussagen erwarte, denen man klatschend zustimmen könne. In Zeiten wie diesen sei das schwierig, befindet der Kabarettist. Schnell lande man als Künstler in einer populistischen Ecke. Mit Populismus, Hetze und rechtem Gedankengut wollten die Kabarettisten im Volkspark jedoch nichts zu tun haben.

Kabarettbefragung

Das Publikum erwartet vom Kabarett politische Satire.

Schule auf die Bühne bringen

Programme mit Titeln wie "Deutschland ein Schauermärchen", "Gleich geschaltet" oder "Komiklinik" zeigen das Portfolio der Kiebitzensteiner. Schräge Figuren nehmen Alltäglichkeiten aufs Korn. Daran halten die Kiebitzensteiner fest.

Mit "Sitzenbleiben" arbeiten sie derzeit an einem neuen Programm rund um Themen wie Schule, Bildung und Lernen. Dies sei ein neuer Versuch, auch jüngeres Publikum anzulocken. Denn: Wenn die jungen Leute erst einmal ins Kabarett gefunden hätten, kämen sie auch wieder, so Hottingers Erfahrung. Und Nachwuchs auf der Bühne ist bei den Kiebitzensteinern im Volkspark Halle auch willkommen.

Quelle: MDR KULTUR (Anne Sailer), MDRfragt
Redaktionelle Bearbeitung: bh

Hinweise zur Kabarettbefragung 2025
MDR KULTUR hat in Zusammenarbeit mit MDRfragt, dem Meinungsbarometer für Mitteldeutschland, die 16 festen Kabaretthäuser mit eigenem Ensemble in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen befragt. 15 von ihnen haben an der Befragung teilgenommen. Aufgrund von Rundungen kann es vorkommen, dass Prozentwerte bei einzelnen Fragen zusammengerechnet nicht exakt 100 ergeben. Die Befragung der MDRfragt-Gemeinschaft fand vom 14. bis 17. Januar 2025 statt. Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen. Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Bei dieser Befragung haben sich 12.197 Menschen online mit ihrer Meinung eingebracht. Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland. MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests. Mehr zur Methodik von MDRfragt finden Sie unter dieser Erklärungsbox.