Vereinsgebäude Miteinander e.V. Außenansicht, Villa mit Treppenaufgang.

Sachsen-Anhalt Mobile Opferhilfe in Magdeburg: Zwischen Überlastung und unsicherer Finanzierung

Stand: 15.02.2025 10:30 Uhr

Die Mobile Opferberatung in Magdeburg arbeitet auf Hochtouren. Seit dem Anschlag hat die Zahl rechtsextremer Gewalttaten deutlich zugenommen. Gleichzeitig müssen die Mitarbeitenden immer wieder um ihre Finanzierung bangen.

Von Chiara Swenson, MDR SACHSEN-ANHALT

Rechtsextreme Gewalttaten und Bedrohungen haben seit dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt weiter zugenommen – das teilte der Verein Miteinander e.V. auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT mit. Vor rund einem Monat war bereits ein Anstieg rassistischer Gewalt zu verzeichnen.

20 Taten innerhalb der letzten fünf Wochen nach dem Anschlag hat die mobile Opferberatung Magdeburg registriert. Davon 15 Körperverletzungen, vier schwere Bedrohungen und eine versuchte Brandstiftung. Mehr als die Hälfte dieser Taten sind aus Sicht des Miteinander e.V. rassistisch motiviert. Zum Vergleich: In 2023 wurde der mobilen Opferberatung in Magdeburg durchschnittlich eine Tat pro Woche gemeldet.  

Bei besonderen Ereignislagen größeres Beratungsaufkommen

"Immer wenn es eine besondere Ereignislage gibt, wie etwa nach dem Anschlag in Magdeburg, merken wir, dass das Beratungsangebot eigentlich nicht reicht, um sofort allen so intensiv helfen zu können, wie es eigentlich notwendig wäre", erklärt Pascal Begrich, Geschäftsführer des Miteinander e.V..

Zu sehen ist ein mittelalter Mann mit dunklem Jakett, der vor einem Roll-Up steht.

Pascal Begrich, Geschäftsführer von Miteinander e.V..

Der 1999 gegründete Verein ist Projektträger der mobilen Opferberatung, die es neben Magdeburg auch in Salzwedel und Halle gibt. Menschen, die rassistische, antisemtische oder rechtsextreme Gewalt erfahren haben, können sich dort melden und bekommen kostenlose Beratung. Aktuell arbeiten die drei Mitarbeitenden in Magdeburg auf Hochtouren. Eine vierte Stelle wäre laut Aussage einer Mitarbeiterin wünschenswert.

Der Miteinander e.V.
Der Verein wurde als Reaktion auf den Einzug der rechtsextremen DVU in den Landtag von Sachsen-Anhalt Ende der 90er-Jahre gegründet. Damals habe es verschiedene zivilgesellschaftliche Überlegungen gegeben, wie man rechten Gewalttaten etwas entgegensetzen könnte, erzählt Geschäftsführer Pascal Begrich. Seitdem ist Miteinander e. V. mit 30 Mitarbeitenden in der Bildungs- und Beratungsarbeit für Demokratie und gegen Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt unterwegs.

Individuelle Unterstützung für Betroffene

Die mobile Opferberatung orientiert sich an den konkreten Herausforderungen der Betroffenen: Eine Beraterin, die aus Schutzgründen anonym bleiben möchte, erklärt: "Wenn sich jemand bei uns meldet und wir uns sprachlich verständigen können, frage ich erst einmal, ob die Leute mir erzählen können, was passiert ist."

Im Fall von rassistischer Diskriminierung beispielsweise hilft das Team bei der Weitervermittlung. Doch geht es um körperliche Gewalt und direkte Bedrohung, ist es ein eindeutiger Fall für die mobile Opferberatung. "Die Betroffenen bekommen dann ein Beratungsgespräch von uns, dafür fahren wir auch zu Ihnen nach Hause", erzählt die Mitarbeiterin aus Magdeburg.

Eine Frau, die an einem Schreibtisch mit Computer sitzt und telefoniert.

Eine Beraterin nimmt einen Anruf von Betroffenen rechter Gewalt entgegen (Symbolbild).

Psychische Beratung, Vermittlung von Rechtsbeistand oder Hilfe bei Behördengängen – das Team in Magdeburg berät auf verschiedene Art und Weise. Nicht alle Betroffenen wissen beispielsweise, was ein Adhäsionsverfahren ist oder wie eine Nebenklage funktioniert, erklärt die Beraterin. Manchmal müsse das Team auch Angehörige der Betroffenen oder Hinterbliebene beraten.

Was ist ein Adhäsionsverfahren?

Ein Adhäsionsverfahren bietet Betroffenen von Straftaten die Möglichkeit, finanzielle Entschädigungen wie beispielsweise Schadensersatzzahlungen oder Schmerzensgeld bereits im Strafverfahren gegenüber den Beschuldigten geltend zu machen. Betroffenen kann dadurch eine Klage vor dem Zivilgericht erspart bleiben.

Dunkelziffer vermutlich höher

Mord, Totschlag, gefährliche Körperverletzung – das sind Vorfälle, bei denen die mobile Opferberatung hinzugezogen wird. Oft werden Betroffene oder Angehörige dann vom Staatsschutz, der sich mit politisch motivierter Kriminalität befasst, an die Mitarbeitenden vermittelt. Doch es gibt auch Fälle, denen keine Anzeige vorausgeht. Menschen, die aus verschiedenen Gründen nicht zur Polizei gehen.

"Wir empfehlen das immer, weil es wichtig für die Polizeistellen und die Justiz ist, von Gewaltstraftaten zu erfahren. Aber aus verschiedenen Gründen gibt es auch immer wieder Betroffene, die das nicht wollen", erklärt Pascal Begrich. Daraus ergebe sich laut ihm eine hohe Dunkelziffer. Eine Mitarbeiterin aus Magdeburg betont zudem, dass Betroffene manchmal gar nicht wüssten, was zu rechtsextremer Gewalt dazu zähle. "Ich übersetze das gerne mit Vorurteilsgewalt – es beinhaltet also auch Gewalt gegen queere, behinderte Menschen oder auch wohnungslose Menschen", sagt sie. Demnach würden manche Vorfälle weder bei der Polizei noch bei der mobilen Opferberatung registriert.

Erklärbox: Was ist mit Dunkelziffer gemeint?
Die „Dunkelziffer“ (auch Dunkelfeld) bezeichnet das Verhältnis zwischen den tatsächlich begangenen Gewalttaten und den beispielsweise in der amtlichen Kriminalstatistik oder bei Beratungsstellen registrierten Vorfällen.

Mitarbeitenden fehlt Planungssicherheit

Generell sei der Beratungsbedarf für Opfer rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt jedoch gestiegen, so Pascal Begrich. Im Zuge des Anschlags kommen mehr Fälle hinzu. "Es ist eine Herausforderung, dem gerecht zu werden", sagt Begrich. Hinzu kommt fehlende Planungssicherheit aufgrund der Förderbedingungen.

Die mobile Opferberatung wird überwiegend aus Bundesmitteln durch das Förderprogramm "Demokratie leben!" finanziert. Einen kleineren Anteil steuert das Land Sachsen-Anhalt bei. Förderanträge müssen jährlich gestellt und bewilligt werden – für Begrich ein schwieriges Signal:

Beratungsbedarf bei rechter Gewalt richtet sich nicht nach haushalterischen Fragen, sondern kommt, wann er kommt. Pascal Begrich, Miteinander e.V. |

Für die Mitarbeitenden im Team der mobilen Opferberatung ist die Planungsunsicherheit eine ständige Herausforderung. In persönlicher wie beruflicher Hinsicht. Wird ihr Arbeitsvertrag verlängert? Können Sie Betroffenen auch weiterhin Hilfe anbieten? Parallel dazu zeigt sich ein deutlicher Anstieg an rechtsextremer Gewalt. In Magdeburg, in Sachsen-Anhalt und auch bundesweit.

Demokratieförderung abhängig von Wahlen

Auch wenn die Finanzierung der mobilen Opferberatung für 2025 zunächst bewilligt ist, eine neue Bundesregierung könnte die Förderrichtlinien von "Demokratie leben!" wieder ändern – das räumte auch Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) ein.

Lisa Paus

Lisa Paus (Grüne), Bundesfamilienministerin

Auf Nachfrage von MDR Sachsen-Anhalt schreibt das Landes-Demokratiezentrum, man sei für den Erhalt der mobilen Opferberatung auf die Bundesmittel aus dem Förderprogramm angewiesen. Das Zentrum ist verantwortlich für die Verwaltung der Gelder aus dem Bundesförderprogramm "Demokratie leben!".

Für die Mitarbeitenden der mobilen Opferberatung heißt es demnach erst einmal abwarten, wie es nach der Bundestagswahl weiter geht und den Betroffenen weiterhin helfen.

MDR (Chiara Swenson, Alisa Sonntag)