
AfD-Wähler im Westen Gefühlt abgehängt
Bei der Bundestagswahl hat die AfD in Teilen von Westdeutschland große Erfolge feiern können. Dabei geht es laut Wissenschaftlern mittlerweile um mehr als nur Protest.
Neuschönau, mitten im tiefsten Bayern, nahe der tschechischen Grenze. Hinter dem Tresen der örtlichen Tankstelle im kleinen Ortsteil Schönanger steht Alois Lentner und sieht ziemlich zufrieden aus.
Vier Wochen nach der Bundestagswahl, bei der die AfD in der Gemeinde einen riesigen Erfolg feierte. 37,7 Prozent bei den Zweitstimmen und damit noch stärker als die CSU. "So viel hätte ich jetzt nicht vermutet", sagt Lentner. "Aber dass es über 25 Prozent werden, war mir klar." Die Stimmung bei seinen Kunden sei schon seit Monaten schlecht, so der Tankstellenbesitzer, der schon zum zweiten Mal in Folge der AfD bei einer Bundestagswahl seine Stimme gegeben hat.
Seit 1979 gehört die Tankstelle seiner Familie. Er ist mittlerweile Seniorchef, sein Sohn hat den Betrieb größtenteils übernommen. Lentner ist einer, den man vor einigen Jahren wahrscheinlich als einen typischen CSU-Wähler bezeichnet hätte: Konservativ und gottverbunden.

Die CSU ist Alois Lentner "mittlerweile einfach zu links".
Doch mit den Jahren, so sagt er selbst, habe er sich nicht mehr mitgenommen gefühlt. Die CSU, so sagt er heute, sei ihm mittlerweile einfach zu links: "Da ist auch ein gewisser Frust dabei, das will ich gar nicht abstreiten", sagt er. "Aber ich bin kein Protestwähler". Sein Kreuz bei der AfD sei eine Entscheidung "aus Überzeugung".
Erfolg vor allem auch in Süddeutschland
Der Erfolg der AfD ist auch Wochen nach dem Wahltag ist noch in aller Munde. Denn diesmal schaffte es die Partei nicht nur im Osten Deutschlands zu reüssieren, sondern auch in großen Teilen des Westens. In Bayern und Baden-Württemberg waren die Ergebnisse bei den Zweitstimmen am höchsten.
"Das sind Regionen, die wohl traditionell konservativ eingestellt sind, aber eben nicht von einem besonderen Strukturwandel betroffen zu sein scheinen oder in denen prekäre Verhältnisse vorherrschen", sagt Christian Bär, Statistiker an der Universität Potsdam. Das Ergebnis hat er in den letzten Wochen genau analysiert. Das alte Narrativ, dass AfD-Wähler hauptsächlich von sozialen Umbrüchen betroffen seien, sei aufgrund der Daten nicht mehr uneingeschränkt haltbar.
Zu wenig Beachtung
Und doch ist auch in Neuschönau die Unzufriedenheit greifbar. "Die Leute sind mit der Gesamtsituation unzufrieden. Es wird häufig nicht auf die eigenen Leute geachtet, sondern vermehrt auch auf andere", sagt ein Unternehmer im Ort, der nicht namentlich genannt werden will. "Da protestieren halt die Leute und die AfD ist eine Protestpartei." Auch weil die Preise überall steigen würden und sich die Löhne nicht dementsprechend anpassten.
Dabei steht der Wahlkreis 226, in dem Alois Lentner zu Hause ist, zumindest im Vergleich nicht schlecht da. Allein der Landkreis Deggendorf, ein Teil des Wahlkreises, kommt nach einer Erhebung der Statistischen Bundes- und Landesämter beim verfügbaren Pro-Kopf-Haushaltseinkommen auf Platz 108 von insgesamt 400 Kreisen und kreisfreien Städte bundesweit. Er liegt damit noch vor Frankfurt am Main, Mainz oder Bonn.
Hadern mit dem Fortschritt
Bei Alois Leitner wird nach langen Gesprächen schnell klar: Ums Geld geht es ihm eigentlich nicht, vielmehr um das große Ganze. Er spricht viel über das Gendern, den Klimaschutz, die Digitalisierung. Wichtige Themen zwar, sagt er, doch mittlerweile sei das alles nicht mehr verhältnismäßig. "Kein Mensch kann den Fortschritt aufhalten. Den will ja auch keiner aufhalten. Aber die Geschwindigkeit, das überschlägt sich, das ist mein Problem."
Das Hadern mit den Veränderungen und die Angst vor der Modernisierung - in Teilen der Wählermilieus der AfD sei das die "Grundstimmung", sagt Demokratieexperte Robert Vehrkamp. Für die Bertelsmann-Stiftung hat er ausgewertet, in welchen Gesellschaftsgruppen die AfD besonders stark war. "Da wird Veränderung als Bedrohung und Belastung empfunden und man muss einfach sagen, dass es den Parteien der politischen Mitte nicht hinreichend gelingt, diese Milieus in die Veränderung mitzunehmen", sagt er.
Die Angst, in Zukunft abgehängt werden zu können, sei manchmal sogar prägend für die Wahlentscheidungen. "Trotzdem sind diese Milieus für die Parteien der politischen Mitte nicht verloren. Das Wichtigste ist, dass sie ihnen alltagstaugliche Lösungen für ihre Probleme anbieten", sagt Vehrkamp.
Alois Lentner jedenfalls bleibt eher skeptisch. Er wünsche sich eine Rückkehr zu konservativen Werten, sagt er. So wie zu "Zeiten von Franz Josef Strauß".
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