Bundestagswahl 2025
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Nach der Bundestagswahl "Die Menschen wollen einen stärkeren Staat sehen"
Die Bundestagswahl hat für neue Verhältnisse gesorgt. Die Zugewinne der AfD beruhen laut Politologin Münch auch auf der Unsicherheit der Menschen. Bei Sondierungen für Schwarz-Rot sieht sie mehrere Knackpunkte.
tagesschau.de: Die in Teilen rechtsextreme AfD hat sich gegenüber 2021 prozentual verdoppelt. Was ist im Land los, dass die Partei solchen Zuspruch erfährt?
Ursula Münch: Das ist die zentrale Frage. Zumal die AfD bei der vergangenen Bundestagswahl eher einen Dämpfer im Vergleich zu 2017 erhalten hatte. Ihr gutes Ergebnis jetzt hat sicherlich viel mit der Unzufriedenheit über die Ampel-Regierung zu tun. Die AfD profitiert vor allem davon. Die Union als seriöse Opposition hat vom Ampel-Scheitern nicht so stark profitieren können - obwohl man das eigentlich erwartet hätte.
Der Erfolg der AfD speist sich aber auch aus der Unsicherheit der Menschen. Er hat mit dem Ukraine-Krieg, den Krisen und der Inneren Sicherheit zu tun. Da ist also nicht nur eine Unzufriedenheit über die Ampel-Regierung bei Stimmen für die AfD. Es geht um weit mehr: Um einen großen Zweifel, dass die in Regierungsverantwortung stehenden Parteien das Ruder herumreißen könnten.

"Längst nicht nur in den ostdeutschen Bundesländern"
tagesschau.de: Warum profitierte die AfD vor allem vom Unmut über das Ampel-Aus?
Münch: Weil die AfD ihn viel stärker zuspitzte und mit einer Abwertung der bisherigen politischen Parteien verbindet. Das deckt sich mit großer Skepsis nennenswerter Teile der Bevölkerung. Die sind längst nicht nur in den ostdeutschen Bundesländern zu finden. Bei der Unzufriedenheit über Flüchtlingspolitik werden die Unionsparteien aufgrund der Flüchtlingspolitik unter Angela Merkel in Mithaftung genommen.
Da hat dann auch die Positionierung von Friedrich Merz zur Flüchtlingspolitik Ende Januar im Bundestag offensichtlich nicht mehr überzeugt. Er hat eher Stimmen im liberalen Lager der Union eingebüßt.
tagesschau.de: Bei den Erststimmen liegt die AfD in allen fünf ostdeutschen Flächenländern vorne. Warum ist das Land politisch noch in Ost und West geteilt?
Münch: Ich würde nicht von einer Teilung sprechen. Der blau gefärbte Osten ist ein Menetekel, aber da sollte sich der Westen der Republik nicht in falscher Sicherheit wiegen. Im bayerischen Deggendorf gibt es das beste Wahlergebnis der AfD im Westen der Republik - in einem recht wohlhabenden Bundesland. Die AfD-Werte sind im Osten höher, aber das Problem ist nicht nur ein ostdeutsches.
tagesschau.de: Die zwei letzten Regierungen Schwarz-Rot und die Ampel konnten zu ihrem Ende nicht überzeugen. Jetzt sieht es wieder nach Schwarz-Rot aus - was müsste besser werden, damit eine solche Konstellation punkten kann?
Münch: Viel hängt an der wirtschaftlichen Entwicklung und an der Inneren Sicherheit. Die Kunst wird darin bestehen, dass Union und SPD, wenn sie tatsächlich miteinander regieren, sich einerseits in der Flüchtlingspolitik handlungsfähiger zeigen. Es muss besser gelingen, im Gesamtkontext von Bund, Ländern, Kommunen und Europäischer Union eine restriktivere Flüchtlingspolitik durchzusetzen. Diese darf aber nicht in einer Abwertung von allen Migranten funktionieren, wie es die AfD macht.
Die Menschen wollen einen stärkeren Staat sehen, auch in der Wirtschaftspolitik. Das ist schwierig in einer europäischen und transatlantischen Gemengelage.
"Das wird die SPD Nerven und Konflikte kosten"
tagesschau.de: Welche Knackpunkte ergeben sich darüber hinaus für die Sondierungen?
Münch: Das Bürgergeld spielt sicher aus Sicht der SPD eine große Rolle. Wenn die SPD nun Lars Klingbeil als Fraktionsvorsitzenden wählt, wird der Kontrast sicher nicht so stark ausgeprägt sein - auch mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine. Ich könnte mir vorstellen, dass es für Merz mit einer personell neu aufgestellten SPD nicht so schwierig wird.
Nichtsdestotrotz sind in der SPD viele Menschen, die friedensbewegt sind. Bei den Jusos wird es Zweifel geben, in eine neue Koalition mit der Union hineinzugehen. Das wird die SPD Nerven und Konflikte kosten. Gleichzeitig wissen wir, dass die SPD immer schon ein großes staatspolitische Verantwortungsgefühl über das eigene Abschneiden bei Wahlen gestellt hat.
tagesschau.de: Die Mehrheit von Schwarz-Rot liegt nur bei zwölf Stimmen. Sind die Grünen als dritter Koalitionspartner noch im Spiel?
Münch: Merz wird es in jedem Fall mit der SPD allein versuchen müssen. Knappe Mehrheiten haben immer etwas disziplinierendes. Ein erneut vorzeitiges Ende einer Legislaturperiode wird sich jetzt auch niemand wünschen, wenn mal eine Regierung steht. Insofern wird Merz die Grünen freiwillig nicht mit hineinnehmen. Das kostet Ressorts und einen Konflikt mit der CSU.
Gleichzeitig wird man die Grünen nicht ständig herabwürdigen können. In Bayern hat das aus CSU-Sicht zwar funktioniert, um die Freien Wähler klein zu halten. Aber man hätte sich etwas mehr an der AfD abarbeiten müssen.
tagesschau.de: Für Entscheidungen wie die Reform der Schuldenbremse ist eine Grundgesetzänderung nötig. Merz bräuchte dafür Grüne und Linke. Trauen Sie ihm zu, politisch auf beide zuzugehen?
Münch: Grundsätzlich sind wir das in der Bundesrepublik gewöhnt, die Zweidrittelmehrheit braucht man auch im Bundesrat. Man muss auch dort mit allen Parteien reden können. Dort war und ist die Linkspartei in Landesregierungen beteiligt.
Interessant wird sein, wie lange man politisch gegenüber der AfD eine Brandmauer aufrechterhält - ob mit der Zeit seitens ostdeutscher CDU-Landesverbände Rückmeldungen an Merz herangetragen werden, dass die vierzig Prozent der Bevölkerung, die AfD gewählt haben, auch berücksichtigt werden wollen. Die Freude des gestrigen Abends bei Merz wird sich schnell in angespanntes und anstrengendes Regieren wandeln.
Das Gespräch führte Corinna Emundts, tagesschau.de