
Versorgung mit Nahrungsmitteln Reiskrise in Japan
Schlechte Ernten, Panikkäufe, explodierende Preise - erstmals muss die Regierung in Tokio den staatlichen Reisvorrat anzapfen. Wird das Grundnahrungsmittel der Japaner zum Luxusgut?
Wenn Ichiro Kokubo vor seinem Laden am Rande Tokios mit dem Gabelstapler rangiert, dann sieht das nicht so aus, als gäbe es ein Problem: Er verschiebt tonnenweise Reissäcke von der einen Ecke in die andere. Das Lager ist voll mit verschiedensten Reissorten aus ganz Japan. Stolz präsentiert der Reismeister seine Vorräte.
Beim Blick auf das Angebot in seinem Laden sieht das anders aus. Auf den Preisschildern tauchen erstmals vierstellige Summen auf: Ein Kilo Reis also für mehr als 1.000 Yen (rund 6,30 Euro). Vor einem Jahr musste man höchstens gut vier Euro für Japans ganzen Stolz hinblättern.
Teilweise sind die Preise um bis zu 80 Prozent angestiegen. Im internationalen Vergleich ist japanischer Reis schon immer relativ teuer gewesen, aber eine derartige Preisexplosion hat es noch nie gegeben.
210.000 Tonnen werden versteigert
Um das Volk der Sushi-, Mochi-, Onigiri-Esser und Sake-Trinker zu beruhigen, entschließt sich Landwirtschaftsminister Taku Eto zu einem historischen Schritt: Mitte Februar kündigt er an, dass seine Regierung erstmals Teile ihres Reisvorrates freigibt, um die Preise zu stabilisieren. Die Rede ist von zunächst 210.000 Tonnen, die an Großhändler versteigert werden sollen.
Eigentlich ist diese Reserve nur für besonders schlechte Ernten vorgesehen - oder um die Versorgung der Menschen bei Naturkatastrophen sicherzustellen. Diesmal soll Japans Hunger nach bezahlbarem Reis gestillt werden.
Der Minister verbindet die Freigabe des Reservereis mit der Botschaft: "Es gibt in Japan definitiv genug Reis, um den Bedarf zu decken." Es gebe nur ein Problem mit der Verteilung, schickt Eto hinterher. Wirklich?
Spekulanten am Werk
Fakt ist: Im heißen Sommer 2023 war die Ernte schlecht, 2024 war sie durchschnittlich. Der Klimawandel sorgt auch beim Reisanbau für Probleme. Die Qualität nimmt ab. Viele Bauern verkaufen ihren Reis außerdem immer häufiger direkt an ihre Kunden - und nicht etwa über mächtige Agrargenossenschaften oder Bauernverbände. Die Menge an gutem Reis auf dem freien Markt wird immer geringer. Das lockt Spekulanten an und treibt die Preise.
Japan versorgt sich zu fast 100 Prozent selbst mit Reis. In der jetzigen Lage einfach billige Produkte aus dem Ausland hinzukaufen? Das verbietet der Stolz. Zumal der Kern des Problems auch in der strengen staatlichen Kontrolle des Reisanbaus zu suchen ist.
Kimio Inagaki, Forschungsdirektor und Experte für die hiesige Lebensmittel- und Landwirtschaftsbranche, kritisiert die Reispolitik der Regierung: Es gebe zu viele Subventionen für Futterreis und den Anbau anderer Pflanzen. Bauern, die essbaren Reis produzieren könnten, bekämen dagegen keine Unterstützung vom Staat. Also verzichteten sie auf den Anbau, erklärt Inagaki.
Auch Anbauflächen werden durch den Staat beschränkt. Offiziell endete die Politik zur Verminderung von Anbauflächen 2018, aber in der Realität gibt es wenig Anreize für Landwirte, Reis in vollen Umfängen auf ihren Feldern anzubauen. Japan könnte also noch deutlich mehr Reis produzieren, als es derzeit tut: 2024 waren es 6,8 Millionen Tonnen.
Banges Warten auf die neue Ernte
Auch diese Tatsache führt nicht gerade zu mehr Verständnis bei der Bevölkerung. Reismeister Ichiro Kokubo berichtet von Kunden, die zähneknirschend die deutlich höheren Preise bezahlen. Andere wiederum verzichteten nun häufiger auf Japans Grundnahrungsmittel. "Dabei ist Reis für Japaner wie die Luft zum Atmen", sagt der Chef des Reisladens mit einem Lächeln.
Noch müsse er keine nennenswerten Umsatzeinbußen hinnehmen, so Kokubo. Das liege auch daran, dass er im Gegensatz zu vielen großen Supermärkten in der Gegend stets gefüllte Lager hat: "Die Kunden entdecken unsere kleinen Reisläden gerade neu."
Er findet es grundsätzlich richtig, dass der Staat einen Teil seine Reisreserven freigeben will. Dass die Preise dadurch spürbar sinken, glaubt er aber nicht - zumal das Landwirtschaftsministerium angekündigt hat, die gleiche Menge später wieder zurückzukaufen. Ein Ende der Reiskrise in Japan ist vorerst nicht in Sicht. Viel wird von der Ernte in diesem Jahr abhängen. Aber wenigstens das Lager von Ichiro Kokubo ist noch randvoll.