Demonstrierende in der Türkei

Protest in der Türkei "Tayyip, tritt zurück!"

Stand: 29.03.2025 15:17 Uhr

Es war die größte Demo in der Türkei seit den Gezi-Protesten 2013. Hunderttausende versammelten sich in Istanbul. Sie forderten die Freilassung des Oppositionsführers İmamoğlu und den Rücktritt der Regierung Erdoğan.

Von Claudia Steiner, BR, für das ARD-Studio Istanbul

Es gibt sicher viele Gründe, warum Hunderttausende Menschen - die Oppositionspartei CHP spricht sogar von 2,2 Millionen - nach Maltepe auf die asiatische Seite von Istanbul geströmt sind. Für viele mögen es die hohen Preise sein, warum sie am letzten Tag des Fastenmonats Ramadan protestiert haben.

Für andere mag es um persönliche Freiheiten gehen, für wieder andere um die Freilassung des suspendierten Oberbürgermeisters von Istanbul, Ekrem İmamoğlu. Was sie eint, ist eine allgemeine Unzufriedenheit und eine jahrelang aufgestaute Wut gegen die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan.

"Widerstand ist überall"

İmamoğlu war am 19. März festgenommen worden. Am Sonntag hatte ein Gericht wegen Korruptionsvorwürfen Untersuchungshaft gegen ihn angeordnet, wenig später wurde er als Oberbürgermeister suspendiert. Der beliebte Oppositionspolitiker von der CHP gilt als wichtigster Rivale Erdoğans. Beobachter gehen davon aus, dass die Vorwürfe gegen den 53 Jahre alten İmamoğlu konstruiert sind.

"Tayyip istifa" - "Tayyip, tritt zurück", skandierten die Menschen immer wieder, schwenkten türkische Flaggen und Fahnen der CHP. Viele hatten auch Porträts von Republik- und CHP-Gründer Mustafa Kemal Atatürk bei sich.

Die Demonstranten forderten Recht und Gerechtigkeit. "Taksim ist überall, Widerstand ist überall", riefen die Regierungsgegner in Anspielung an die Massenproteste auf dem gleichnamigen Platz in Istanbul im Jahr 2013. Die heutige Demonstration in Maltepe war die größte Demonstration gegen die Regierung seit den sogenannten Gezi-Protesten.  

Emotionale Reden

Die verschiedenen Redner und Rednerinnen zeigten sich willensstark und emotional. İmamoğlus Ehefrau Dilek forderte die Menge auf, weiterzukämpfen, "nicht für Ekrem, sondern für unsere Kinder, für die Türkei". Angesichts der hohen Inflation könnten es sich viele Menschen nicht mehr leisten, Festessen mit der Familie zum Zuckerfest am Ende des Ramadan zu organisieren oder den Kindern Geschenke zu machen.

"Morgen wird der Feiertag von Millionen Familien vom Schmerz der Armut, Ungerechtigkeit und Verzweiflung überschattet sein", kritisierte Dilek İmamoğlu. "Auch unsere Familie wird diesen Feiertag ohne ihren Vater verbringen." İmamoğlus Mutter Hava sprach von ihrem Sohn als fleißigem Mann, der im Dienste des Volkes stehe.

Der abgesetzte, im Silivri-Gefängnis inhaftierte Oberbürgermeister wandte sich in einer KI-generierten Videonachricht an die Demonstranten: Sie basiert auf einem Text von İmamoğlu, den er in der Haft geschrieben hatte. Er sei stolz auf die Jugend, die demonstriere, und habe keine Angst.

"Nervosität des Präsidenten"

Doch viele Menschen haben Angst. Seit Beginn der Proteste wurden Berichten zufolge etwa 2.000 Menschen festgenommen, darunter viele junge Menschen, Anwälte, aber auch türkische und ausländische Journalisten.

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) verurteilte das Vorgehen der türkischen Behörden scharf. Der DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster sagte, willkürliche Verhaftungen türkischer Journalisten seien zur traurigen Routine geworden. "Die Inhaftierung von ausländischen Korrespondenten markiert eine neue Eskalationsstufe und verdeutlicht die Nervosität des Präsidenten."

Neue Demonstrationen angekündigt

Es gehe um nicht weniger als die Rettung der Demokratie, betonte CHP-Chef Özgür Özel in Maltepe. "Sie sind heute hier, um die Zukunft der Türkei zu ergreifen und unsere Zukunft und Demokratie zu verteidigen."

In einem Interview mit der französischen Zeitung Le Monde kündigte Özel an, dass es weitere Proteste geben solle. "Jeden Samstag in einer türkischen Stadt" und jeden Mittwoch in Istanbul. Denn sollten die Proteste jetzt nicht fortgesetzt werden, werde es bald keine Wahlen mehr in der Türkei geben, warnte Özel.

Zudem will die CHP landesweit Unterschriften sammeln. "Ich will meinen Kandidaten neben mir, meine Urne vor mir", riefen die Menschen. Ihr Wunsch ist klar: Sie wollen vorgezogene Neuwahlen - mit Ekrem İmamoğlu als ihrem Präsidentschaftskandidaten.   

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 29. März 2025 um 15:00 Uhr.