Abgeordnete im Bundestag bei der konstituierenden Sitzung

Abgeordnete im Bundestag Wen bildet dieses Parlament ab?

Stand: 26.03.2025 12:36 Uhr

Der frisch gewählte Bundestag ist älter, männlicher, akademischer und weniger migrantisch besetzt. Was bedeutet das für ein Parlament? Abgeordnete erzählen, wie sie sich und andere wahrnehmen.

Von Marc Feuser und Anna-Lou Beckmann, ARD-Hauptstadtstudio

Für Rasha Nasr hat die zweite Legislaturperiode im Bundestag begonnen. Vor dreieinhalb Jahren war sie die erste sächsische SPD-Abgeordnete mit Migrationshintergrund. "Es hat mich wirklich schockiert, dass das 2021 so ein Ding war, dass eine Abgeordnete Rasha heißt und so aussieht, wie ich aussehe."

Es habe eine ganze Weile gedauert, bis sie nicht mehr gebeten wurde, ihren Abgeordnetenausweis an den Sicherheitsschleusen vorzuzeigen, während ihre Kollegen einfach durchgewunken wurden, sagt die Politikerin mit syrischen Wurzeln. "Ich wurde oft gefragt, wessen Praktikantin ich bin, einfach weil es gar nicht in der in Lebensrealität der Leute angekommen ist, dass Abgeordnete so aussehen wie ich."

Nur etwa jeder Zehnte hat Migrationshintergrund

Die 32-Jährige ist laut einer Untersuchung des Mediendienstes Integration eine von 73 Abgeordneten mit Migrationshintergrund im neuen Bundestag. Während in der Gesamtbevölkerung fast jeder Dritte einen Migrationshintergrund hat, ist es im Bundestag nur etwa jeder Zehnte.

"Das ist auf jeden Fall nicht genug und die Vielfalt ist nicht repräsentiert", urteilt die Migrationssoziologin und Politikwissenschaftlerin Devrimsel Deniz Nergiz. Es sei wichtig, dass unterschiedliche Lebenserfahrungen in die Politik und die Themensetzungen einfließen, so Nergiz. "Wenn zum Beispiel das Plenum über ein Einbürgerungsgesetz spricht, dann kann eine Politikerin, die mit ihrer Familie bereits eingebürgert wurde, ganz anders über die praxistauglichen Hindernisse sprechen."

Stefan, 47, Anwalt

Der durchschnittliche Abgeordnete im neuen Parlament ist rund 47 Jahre alt, arbeitet als Anwalt oder Berufspolitiker und heißt Stefan. Der Frauenanteil ist mit der Wahl im Februar auf 32,4 Prozent gesunken. Überdurchschnittlich viele Abgeordnete haben einen Doktortitel. Menschen aus dem Handwerk sind hingegen wenig vertreten. Keinen Uni-Abschluss haben nur einzelne. 

Einer von ihnen: Jens Behrens von der SPD. Der 46-Jährige machte nach dem Abitur eine Lehre zum Bankkaufmann und arbeitete dann jahrelang in einer Bank. "Grundsätzlich sollte der Bundestag ein Abbild der Gesellschaft sein, das tut er in Gänze nicht. Das war für mich ein Beweggrund zu sagen: Ich möchte versuchen in den Bundestag zu kommen", sagt Behrens.

Über die Landesliste NRW hat es bei dieser Wahl geklappt. Einfach sei es nicht, es seien sehr viele Akademiker im Parlament. "Es ist ein langer Weg - man muss es wollen", so Behrens. Praxisnähe tue dem Parlament gut.

"Unsere Stimmen gehen unter" 

Das denkt auch Stella Merendino. Die 30-Jährige hat bis zu ihrem Einzug für die Linken in den Bundestag als Pflegerin in einer Notaufnahme im Krankenhaus gearbeitet - und will das auch neben dem Amt weiter tun. Jedenfalls eine Schicht im Monat. "Ich liebe meinen Beruf, ich helfe gerne Menschen. Aber es war auch ein wichtiger Schritt, in die Politik zu gehen, weil unsere Stimmen oftmals untergehen", sagt Merendino.

Sie hofft darauf, im Gesundheitsausschuss ihre Expertise einbringen zu können. "Das sind Theoretiker:innen - da werden Gesetze über die Köpfe der arbeitenden Gesellschaft gemacht, die überhaupt keinen Sinn ergeben. Diesen Blick würde ich gern mit reingeben in den Bundestag", sagt sie.

Experte sieht Parteien in der Pflicht

Laut dem Politologen Andreas Wüst von der Hochschule München wird die Repräsentationslücke in den nächsten Jahren auch weiterhin vorhanden sein. "Aber ich bin recht optimistisch, dass es im Generationenverlauf immer weniger Thema sein wird."

Er sieht vor allem die Parteien in der Pflicht, sich weiter zu öffnen. Sie seien etwa verantwortlich dafür, dass Menschen mit Migrationshintergrund im Parlament unterrepräsentiert sind: "Es liegt vor allem daran, dass zu wenig politisch Interessierte mit Einwanderungsgeschichte von den Parteien aufgestellt werden." Das gelte sowohl für die aussichtsreichen Listenplätze als auch für die Nominierungen in den Wahlkreisen.

Für Wüst ist das eine Frage der Chancengerechtigkeit: "Wenn man ganz offensichtlich Personen hat, die in Ämter oder auch Mandate kommen möchten und sich das für sie sehr viel schwieriger darstellt, dann ist da natürlich die Frage: Haben sie die gleichen Chancen?" Die Vorschläge des Experten für Repräsentationsforschung lauten unter anderem: Startnachteile reduzieren und politische Bildung weiter fördern.

"Dann ist das schon ein Erfolg für mich"

Zurück zu Rasha Nasar. Sie gehört dem relativ kleinen Landesverband der SPD in Sachsen an. Die innerparteilichen Hürden auf dem Weg ins Parlament seien für sie vergleichsweise gering gewesen. Gleichzeitig sagt sie: "Ich habe auch gemerkt, dass man sehr schnell an diese 'gläserne Decke' stößt. Du kommst immer wieder in Ortsvereinssitzungen, wo du komisch angeguckt wirst, weil du noch nicht seit 20 Jahren dabei bist."

Nasr spricht von einem Mentalitätsproblem. Auch deshalb hofft sie, Vorbild für andere sein zu können: "Wenn ich auch nur eine junge Frau motiviert habe, in die Politik zu gehen oder zu sagen 'Hey, meine Meinung ist wichtig und ich sag die jetzt', dann ist das schon ein Erfolg für mich." 

Anna-Lou Beckmann, ARD Berlin, tagesschau, 26.03.2025 11:04 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 25. März 2025 um 22:15 Uhr.