
Bundestag konstituiert sich Die Neuen kommen
Im Bundestag beginnen heute 230 neue Abgeordnete ihre parlamentarische Arbeit. Die Wahl liegt nur ein paar Wochen zurück - für die Einsteiger wenig Zeit, sich auf die ungewohnte Situation einzustellen.
Für David Gregosz von der CDU beginnt seine Zeit in Berlin mit einem Orientierungsproblem. Die vielen verschiedenen Bürogebäude des Bundestages überfordern am Anfang so ziemlich jeden Neuankömmling mit ihren endlosen Fluren und zahlreichen Büros. Während er seine neue Wirkstätte sucht, erinnert sich Gregosz: Vor gut 20 Jahren hat er hier mal ein Praktikum gemacht.
Im vierten Stock meint er das Büro von Helmut Kohl wiederzuerkennen - in direkter Nachbarschaft zu seinem eigenen. Das könnte man als gutes Omen deuten, aber dann ist sein Büro verschlossen. Er muss den ganzen Weg nochmal zurück - der 41-Jährige nimmt es mit Humor.
Gregosz kommt aus dem thüringischen Eichsfeld, hat VWL und Politikwissenschaft studiert und zuletzt bei der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung das Auslandsbüro in Warschau geleitet. In Berlin möchte der Wirtschaftsexperte gerne im Haushaltausschuss auf sich aufmerksam machen.
Als der Portier ihm endlich aufschließt, wirkt sein provisorisches Büro recht nüchtern: grauer Einbauschrank, zwei helle Schreibtische und zwei vergilbte Kabeltelefone. Die zwölf Quadratmeter teilen sich zwei Abgeordnete. Keine Kunst, keine Farben, keine Bilder an den Wänden.
Ernüchternd findet Gregosz das trotzdem nicht. Erst in einigen Wochen wird er sein endgültiges Büro für die nächsten vier Jahre beziehen können, denn bis im Bundestag alle ihren neuen Platz gefunden haben, sind fast 20.000 Umzüge über die Bühne gegangen. Eine organisatorische Meisterleistung der Bundestagsverwaltung.
Hotel oder Wohnungssuche?
Bundestagsabgeordneter zu sein heißt: Die 20 Wochen im Jahr, in denen das Parlament tagt, in Berlin zu verbringen - und die restliche Zeit für die Bürgerinnen und Bürger im Wahlkreis ansprechbar zu sein. Nicht alle Abgeordneten suchen sich für die 20 Wochen eine Wohnung in Berlin. Manche bleiben auch im Hotel, gerade wenn ihre Anfahrt nicht sonderlich weit ist.
Aber auf die Dauer ist das Pendeln ohne Bleibe anstrengend, das merkte Jeanne Dillschneider aus dem Saarland schnell. Die Grüne hatte eigentlich die Hotellösung favorisiert, aber bereits in ihrer ersten Woche vergaß sie ihren Pyjama, die Haarbürste und diverse Kleinigkeiten. Wohnungssuche steht nun doch auf ihrer To-Do-Liste.
Ihr Parteikollege Timon Dzienus hat Glück und kann sich die langwierige Wohnungssuche im hart umkämpften Berliner Wohnungsmarkt sparen: Er zieht in eine WG, in der ausschließlich Grünen-Abgeordnete leben. Seit 2021 existiert diese Dreier-WG. Zwei der bisherigen Mitbewohner sind aber nicht wieder in den Bundestag eingezogen, Dzienus konnte nachrücken.
Bei der WG-Besichtigung fällt auf: Ganz so, wie man sich eine Grünen-WG vielleicht vorstellen würde, geht es dann doch nicht zu. Die Möbel sind gänzlich konsum-unkritisch von einem schwedischen Einrichtungshaus, vegan ernährt sich hier niemand und die Zimmerpflanzen sehen wirklich nicht so aus, als hätten die Grünen einen grünen Daumen.
Im Bundestag will sich Dzienus vor allem für bezahlbaren Wohnraum einsetzen, denn die großzügige Neubauwohnung in Berlin-Mitte ist für ihn absoluter Luxus. Er selbst kommt aus einer Arbeiterfamilie, "wo man jeden Euro zweimal umdrehen musste". Dass man in Berlin mittlerweile 800 bis 900 Euro für ein WG-Zimmer zahlen muss - für den 28-Jährigen ein Unding.
Aus der Bank in den Bundestag
Weil die SPD-Fraktion im Bundestag deutlich geschrumpft ist, kommen diesmal nur elf neue Abgeordnete nach Berlin. Einer ist Jens Behrens aus dem Kreis Soest in Nordrhein-Westfalen, für ihn ist der Job als Berufspolitiker etwas ganz Neues. Bisher war er ehrenamtlich auf Kommunalebene tätig und bis vor wenigen Tagen hauptberuflich Leiter einer Bankfiliale.
Während des Wahlkampfs lief der Bankjob parallel zur politischen Arbeit, schließlich hat Behrens sich vom Azubi zum Filialleiter hochgearbeitet, und das lässt man nicht so einfach hinter sich. Bei seinem Abschied musste er "die ein oder andere Träne verdrücken". Ob er zurückkehren kann, sollte er in vier Jahren nicht wiedergewählt werden, ist ungewiss.
Und so findet Behrens sich plötzlich wieder in einem Job, den er so nicht gelernt hat. Seine Komfortzone hat er definitiv verlassen, allerdings lege er auf die auch gar keinen großen Wert, meint er: "Für mich ist wichtig, dass ich mein Leben erfüllt leben kann. Ich glaube, wenn man was mit Leidenschaft macht, dann kann man auch so was wie ein Bundestagsmandat ausfüllen." Sein erstes politisches Ziel in Berlin: der Finanzausschuss. Denn wenigstens in dieses Thema muss er sich nicht erst reinfinden.
Plötzlich Arbeitgeberin
Lea Reisner und Charlotte Neuhäuser sind neu für die Linke im Bundestag und plötzlich Arbeitgeberinnen. Mitglieder des Bundestages können pro Monat 25.000 Euro für Personal ausgeben, und Personal braucht es auch. Alleine ist das Lesen aller Unterlagen oder das Jonglieren aller Termine unmöglich. Insofern prasseln gerade viele Bewerbungen auf die Beiden ein.
Reisner, gelernte Krankenschwester, hat ihre erste Mitarbeiterin schon und nennt sie ein Geschenk: Anita Scheller arbeitet als Management-Assistentin seit über 20 Jahren im Bundestag, von ihrem Wissen profitiert die neue Abgeordnete.
Neuhäuser sichtet noch Bewerbungen, meistens unterwegs auf dem Laptop. Vor der Verantwortung, die sie als Arbeitgeberin nun trägt, hat sie Respekt. Bisher hat sich die 27-Jährige als Gewerkschafterin vor allem für Arbeitnehmerinteressen eingesetzt. Wobei der Seitenwechsel in ihrer Partei weniger krass ausfällt, als das bei anderen Parteien denkbar wäre: Mitarbeitende der Linken im Bundestag sind in einer Abgeordnetengemeinschaft organisiert, sie können einen Betriebsrat gründen und ihre Bezahlung ist angelehnt an den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes.
Startklar in Berlin und im Wahlkreis
Mit 21 in den Stadtrat, mit 26 in den Bundestag: Diana Zimmer ist eine Ausnahmeerscheinung in ihrer Partei. Die neue AfD-Fraktion ist mit einem Durchschnittsalter von 50 Jahren und einem Frauenanteil von gerade mal elf Prozent die älteste und männlichste Fraktion im Bundestag. Diana Zimmer ist die jüngste Bundestagsabgeordnete der AfD und bringt dennoch schon fünf Jahre Erfahrung im Stadtrat von Pforzheim in Baden-Württemberg mit.
In den Wochen vor der ersten Bundestagssitzung hat sie im Wahlkreis noch einiges zu erledigen: "Die Wahlkreisbüroeröffnung, Mitarbeiterfragen, Übergaben, die Erklärung, dass ich nicht mehr Stadträtin sein kann aus Respekt, weil man einfach die Zeit nicht mehr mitbringen kann", zählt sie auf. Besonders das Wahlkreisbüro bereitet Zimmer momentan Sorgen. Potenzielle Vermieter, die der AfD mindestens kritisch gegenüberstehen, sagen ihr aus Überzeugung ab. Diejenigen, die mit der AfD sympathisieren, wollen nicht vermieten aus Angst vor Vandalismus.
Zimmer hat BWL studiert und will im Bundestag als Finanzpolitikerin auf sich aufmerksam machen.