
Deutschlands Außenpolitik "Die Welt wartet nicht"
Nach der Bundestagswahl blicken viele Regierungen nach Berlin. Die Erwartungen sind riesig - doch noch ist die Regierung Scholz am Zug. Vor welchen außenpolitischen Herausforderungen steht Deutschland?
Während Berlin eine neue Regierung sucht, dreht sich die Welt weiter. Eine der größten außenpolitischen Herausforderungen ist die Beziehung Europas zu den USA. Seitdem US-Präsident Donald Trump deutlich gemacht hat, dass er die Europäer vorerst nicht mit am Verhandlungstisch sieht, wenn über die Zukunft der Ukraine verhandelt wird, versuchen verschiedene europäische Akteure das Verhältnis zu Trump zu verbessern.
Eine intensive Reisediplomatie hat gerade erst begonnen. Nach dem französischen Präsidenten Macron trifft an diesem Donnerstag der britische Premier mit dem US-Präsidenten zusammen. Ein Besuch aus Deutschland ist nicht geplant, zumindest nicht, solange der Übergang zwischen der alten und der neuen Regierung andauert.
Stattdessen ist Noch-Kanzler Olaf Scholz auf die Informationen der EU-Partner angewiesen. So wie alle anderen EU-Mitglieder auch. Nach seinem Besuch hat der französische Präsident Macron die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union informiert. Der Brite Starmer wird das nach seinen Gesprächen mit Sicherheit auch tun.
Deutschland am Spielfeldrand
Doch das Land, von dem viele in Europa erwarten, dass es mehr Führung übernimmt, steht höchstens am Spielfeldrand. Eine Führungsrolle, die der wohl künftige Kanzler Friedrich Merz auch für Deutschland beansprucht, scheint in weiter Ferne. Er hat zwar in einer außenpolitischen Grundsatzrede kurz vor der Wahl davon gesprochen, dass Deutschland nicht nur Verantwortung für seine eigenen Interessen, sondern auch für den Zusammenhalt in ganz Europa trage. Doch diese Rolle kann er bisher noch nicht ausfüllen.
Außerdem will Merz, so in der bereits erwähnten Rede, die verbleibenden zwei Jahre der Amtszeit des französischen Präsidenten Macron nutzen, um "gemeinsam mit ihm die Vision eines souveränen Europas zu verwirklichen".
Einen ersten Austausch gab es am Mittwochabend. Macron hatte Merz zu einem Abendessen in den Elysée-Palast geladen. Ein vertrauliches Gespräch, das drei Stunden gedauert hat. Man wolle ein neues Kapitel in den deutsch-französischen Beziehungen aufschlagen, heißt es. Macron wie Merz posten Fotos der Begegnung auf ihren Social-Media-Kanälen. Gut für die Atmosphäre, gut für ein Vorsondieren, aber der offizielle Ansprechpartner ist noch Kanzler Scholz.
Sondergipfel ohne Merz
In der kommenden Woche, am 6. März, wird Scholz an dem geplanten EU-Sondergipfel zur Ukraine teilnehmen. Und zwar allein, ohne Merz. Das hat Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Mittwoch deutlich gemacht. Es gebe kein Regierungspraktikum.
"Wenn ich jetzt an den EU-Gipfel denke, es muss wohl irgendwem die Idee gekommen sein, auch da könnte man ihn ja mit hinnehmen, (…) aber kurzes Nachdenken hätte geholfen, es sind 27 Staats- und Regierungschefs aus 27 Demokratien, in denen regelmäßig Wahlen stattfinden, in denen es auch regelmäßig zu Regierungswechseln kommt, und wenn man dann immer mit zwei oder mehr Regierungsspitzen ankommen würde, würde das die Beratung nicht unbedingt beschleunigen." Der Bundeskanzler sei so lang im Amt, bis sein Nachfolger gewählt sein werde.
Kanzler auf Abruf
Aber Scholz ist ohne Zweifel auf Abruf. Das ist auch den anderen 26 Staats- und Regierungschefs klar. Seine Stimme hat damit deutlich weniger Gewicht. Eigentlich ist er nur noch Zuhörer. Ein Problem in einer Zeit, in der dringend gehandelt werden muss.
Es gibt viele offene Fragen: Die Ukraine braucht dringend mehr Unterstützung. Die Bundeswehr ist nicht verteidigungsfähig angesichts des erstarkenden Russlands. Es fehlt eine klare Antwort auf Trumps Forderungen, was die Europäer in der Ukraine zu leisten haben. Und immer wieder geht es ums fehlende Geld für Verteidigung und die Frage, ob dafür die Schuldenbremse reformiert werden oder es ein neues Sondervermögen für Verteidigung geben soll.
Eine Antwort, die der künftige Kanzler geben muss. Merz steht vor der Frage, ob er versucht, die für die Reform der Schuldenbremse erforderliche Grundgesetzänderung noch mit dem alten Bundestag und der abgewählten Regierung hinzubekommen, bevor der neue Bundestag spätestens am 25. März zusammentritt. Bisher lehnt er es ab. Er will stattdessen ein neues Sondervermögen in Höhe von 200 Milliarden Euro auflegen.
Die Zeit drängt
Die Noch-Außenministerin Annalena Baerbock hat am Montag nach der Wahl Merz aufgefordert, eine Reform der Schuldenbremse noch mit dem alten Bundestag auf den Weg zu bringen. "Es nutzt dann nichts, wenn dann aus Deutschland erklärt wird, nach Ostern, nach Pfingsten, wann auch immer, ah Mist, das haben wir jetzt verpasst, das war uns gar nicht so klar, dass wir keine Zwei-Drittel-Mehrheit mehr haben. Den Preis dafür werden dann andere bezahlen - zuallererst die Menschen in der Ukraine."
Wie sehr die Zeit drängt, ist spätestens seit der Münchner Sicherheitskonferenz klar. Die USA wollen sich von ihren sicherheitspolitischen Garantien für Europa verabschieden. "Wir brauchen einen klaren Plan bis zum NATO-Gipfel im Sommer, wo die Amerikaner von uns Europäern erwarten, dass wir einen klaren und nachvollziehbaren Plan darlegen, wie wir in den kommenden Jahrzehnten die Hauptlast der Verteidigung tragen wollen", erklärt Tobias Bunde, der Forschungsdirektor der Münchner Sicherheitskonferenz. "Damit müssen wir jetzt beginnen, weil es sonst zu spät ist."
Doch in diesem "Jetzt" steckt Deutschland in Parteipolitik fest und der Frage, wer setzt was in den wohl bald beginnenden Sondierungsgesprächen durch. Es scheint nicht die Zeit zu sein, "von einer schlafenden Mittelmacht zu einer führenden Mittelmacht zu werden", wie es Merz in seiner außenpolitischen Grundsatzrede für Deutschland als Ziel formuliert hat.
Die finnische Außenministerin Elina Valtonen mahnt: "Die Welt wartet nicht. Und wir hoffen, dass Deutschland so schnell wie möglich am Tisch ist."