
Berlin Brandenburg 100.000 ukrainische Geflüchtete in der Region stehen vor einer ungewissen Zukunft
Sie gehen hier zur Schule, arbeiten oder suchen eine Stelle: Ukrainische Geflüchtete haben drei Jahre nach Kriegsbeginn in Berlin und Brandenburg Fuß gefasst – und immer mehr wollen hierbleiben. Von Juan F. Álvarez Moreno
- Gut 100.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine leben in Berlin und Brandenburg
- Beschäftigungsquote liegt bei etwa einem Drittel, Zehntausende beziehen Bürgergeld
- Rund 15.000 Kinder und Jugendliche gehen hier zur Schule
- Viele Ukrainer haben keinen Ort mehr, an den sie zurückkehren können
Drei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskrieges haben sich Tausende ukrainische Geflüchtete in Berlin und Brandenburg ein neues Leben aufgebaut. Kinder aller Altersgruppen gehen hier zur Schule. Fast ein Drittel der Erwachsenen ist in den Arbeitsmarkt integriert. Andere sind auf dem Weg, sich für einen Job zu qualifizieren.
Nun scheint es, als könnte der Krieg beendet oder eingefroren werden. Doch es bleibt unklar, wie viele Geflüchtete ihre Heimat vielleicht für immer verlieren werden. Forschungen zeigen: Immer weniger von ihnen wollen in die Ukraine zurückkehren.
Zum Stichtag 15. Februar hielten sich laut Bundesinnenministerium 69.911 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in Berlin auf – zehn Prozent mehr als vor einem Jahr. In Brandenburg waren es 31.021, was einem Rückgang von 2,4 Prozent entspricht. Fast 60 Prozent der ukrainischen Geflüchteten sind Frauen. Vor Kriegsbeginn lebten laut Daten des Bundesamtes für Statistik etwa 25.000 Ukrainerinnen und Ukrainer in Berlin und Brandenburg.
Der Großteil der Geflüchteten kam in den ersten Monaten nach Kriegsbeginn. Seitdem ist die Zahl der Ankünfte deutlich zurückgegangen. In der Ankunfts- und Notunterkunft Tegel meldeten sich im vergangenen Jahr 10.408 Menschen, wie die Berliner Senatssozialverwaltung mitteilte – ein Rückgang um 31 Prozent im Vergleich zu 2023.
Tausende Ukrainer leben noch in Tegel-Unterkunft
Rund 4.000 ukrainische Kriegsgeflüchtete sind in Berlin in Unterkünften des Landes untergebracht, die meisten von ihnen in der Unterkunft auf dem ehemaligen Flughafen Tegel, wie die Senatssozialverwaltung auf Anfrage mitteilt. Weitere Menschen sind über die Bezirke verteilt untergebracht. Wie viele Geflüchtete bei Privatpersonen wohnen, ist nicht bekannt.
In Brandenburg ist die Verteilung der Geflüchteten ungleich. Die höchste Dichte an Ukrainern gibt es im Landkreis Oder-Spree und Frankfurt (Oder) mit etwa 25 Ukrainern pro 1.000 Einwohner (Ende 2023). In Potsdam sind es etwa 18. Am niedrigsten ist die Quote in Elbe-Elster mit weniger als sieben Menschen pro 1.000 Einwohner. Zum Vergleich: In Berlin sind es 16 pro 1.000 Einwohner.
Ukrainer und ihre Angehörigen erhalten in Deutschland bis zum 4. März 2026 grundsätzlich Schutz aufgrund der europäischen "Massenzustrom-Richtlinie". Diese wurde mehrfach verlängert. Dadurch dürfen Kriegsflüchtlinge arbeiten, haben Zugang zum Bildungssystem sowie zur medizinischen Versorgung und müssen angemessen untergebracht werden. Ein Asylverfahren ist nicht erforderlich.
Immer mehr Ukrainer finden einen Job
Der Krieg in der Ukraine hat auch den Arbeitsmarkt in der Hauptstadtregion beeinflusst. In den vergangenen drei Jahren hat sich die Zahl der ukrainischen Beschäftigten hier verdreifacht. Laut Bundesagentur für Arbeit gab es im November 2024 in Berlin 19.900 sozialversicherungspflichtige ukrainische Beschäftigte (2022: 6.330), in Brandenburg waren es 7.800 (2022: 2.019).
Die Beschäftigungsquote liegt in beiden Bundesländern bei etwa einem Drittel (31,2 Prozent in Berlin, 32,6 Prozent in Brandenburg). In manchen europäischen Ländern wie Polen oder Dänemark ist sie deutlich höher, da dort das Prinzip "work first" gilt – zuerst arbeiten, dann integrieren.
In Deutschland hingegen besuchen Geflüchtete zunächst Integrations- und Sprachkurse, während ihre beruflichen Qualifikationen geprüft werden. Langfristig sollen sie eher Jobs finden, die ihrer Qualifikation entsprechen. Laut einem Bericht des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung hatten im Mai 2024 fast 70 Prozent der Ukrainer in Deutschland einen Sprach- oder Integrationskurs abgeschlossen.
"Der Anstieg der Beschäftigung zeigt sich vor allem im Bereich der unqualifizierten Jobs", sagt Tetyana Panchenko, ukrainische Politikprofessorin mit Fokus auf die Lebenswelt ukrainischer Geflüchteter in Deutschland. "Viele der Geflüchteten haben mittlerweile ihren Integrationskurs abgeschlossen und nehmen Jobs unterhalb ihrer Qualifikation an." Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen brauchen länger, um eine passende Arbeit zu finden. Panchenko beobachtet zudem, dass zunehmend mehr ukrainische Geflüchtete eine selbstständige Tätigkeit anstreben oder ein Kleinunternehmen gründen wollen.
Bei der Qualifizierung gibt es zwischen Berlin und Brandenburg leichte Unterschiede. In Berlin arbeiten laut Arbeitsagentur 34,4 Prozent der ukrainischen Beschäftigten als Helfer, 36,3 Prozent als Fachkräfte und 29,3 Prozent als Spezialisten oder Experten. In Brandenburg sind 40,9 Prozent Helfer, 42,5 Prozent Fachkräfte und nur 16,6 Prozent Spezialisten oder Experten.
Zehntausende Ukrainer erhalten Bürgergeld in der Region
Etwa 21.700 Menschen aus der Ukraine erhalten in Berlin laut Senatssozialverwaltung Bürgergeld (Daten aus September 2024). In Brandenburg gibt es laut Angaben des dortigen Wirtschaftsministerium etwa 17.000 ukrainische Bürgergeldempfänger. Ein Drittel von ihnen ist nicht erwerbsfähig.
Wie gut die Geflüchteten finanziell dastehen, hängt stark von ihrer Situation vor dem Krieg ab, so Panchenko. "Die meisten Befragten meiner Studien sagen, dass ihre finanzielle Lage in Deutschland schlechter ist als in der Ukraine." Das liege daran, dass vor allem Menschen mit überdurchschnittlich viel Geld und hoher Qualifikation zur Flucht in der Lage waren. Zudem leben in der Ukraine 86 Prozent der Menschen in Eigentum – etwas, das sie sich in Deutschland oft nicht leisten können.
Größte Herausforderung für Kinder ist nicht die Sprache
An den Schulen in Berlin und Brandenburg sind ukrainische Kinder längst Teil der Schülerschaft. Laut Kultusministerkonferenz gab es Ende vergangenen Jahres 8.551 geflüchtete ukrainische Schülerinnen und Schüler in Berlin und 6.245 in Brandenburg.
"Für die Kinder ist es nicht einfach, aber sie lernen die Sprache in der Regel schneller und passen sich leichter an. Oft übernehmen sie sogar eine Helferrolle für ihre Eltern", sagte Panchenko. Ein Hauptproblem sei jedoch die soziale Integration: Häufig fehle der Kontakt zu deutschen Kindern, sodass die Freundeskreise oft aus der eigenen Community bestehen.
Der unklare Kriegsverlauf und die damit verbundenen Unsicherheiten und unklare Perspektive wirken sich vor allem auf Kinder und Jugendliche aus, so eine Sprecherin der Berliner Senatssozialverwaltung. "Diese stehen bereits aufgrund der noch immer bestehenden teilweisen Doppelbeschulung (deutsche Schule und ukrainische Online-Beschulung) unter Druck." Auch die aktuellen öffentlichen und medialen Diskurse zum Thema Migration - auch aus der Ukraine - würden viele als sehr belastend empfinden.

Die Hälfte der Ukrainer will bleiben
In den vergangenen Wochen scheint ein mögliches Ende des Krieges in der Ukraine wahrscheinlicher geworden zu sein. US-Amerikaner und Russen haben bereits erste Gespräche aufgenommen. Allerdings stößt die Art und Weise, in der das geschieht, auf breite Kritik aus EU und Ukraine [tagesschau.de]. Dennoch rückt dies für viele Ukrainer in Deutschland die Frage in den Fokus, ob sie in ihre Heimat zurückkehren sollen? Die Antworten sind sehr unterschiedlich.
Politikprofessorin Panchenko hat in ihren Forschungen drei Gruppen von Ukrainern identifiziert, je nachdem, wie sie zu einer Rückkehr in die Ukraine stehen. Die erste davon sind die "potenziellen Rückkehrer" – meist Frauen mit Kindern, deren Partner in der Ukraine geblieben sind. 2022 machten sie noch die Hälfte der Geflüchteten aus, 2024 nur noch ein Viertel.
Danach folgen die "Unentschlossenen", die seit Kriegsbeginn etwa ein Drittel der Geflüchteten ausmachen. Dazu gehören Menschen, die in Deutschland bereits Arbeit gefunden haben, aber dennoch eine Rückkehr erwägen. Sowie jene, die große Verluste erlitten haben und pessimistisch auf das Kriegsgeschehen blicken.
Auf der anderen Seite stehen jene, die lieber hier bleiben wollen – sei es aus Überzeugung oder weil sie keinen Ort mehr haben, zu dem sie zurückkehren können. Diese Gruppe macht laut Panchenko mittlerweile fast die Hälfte der Geflüchteten aus, während es im ersten Kriegsjahr nur 21 Prozent waren.
Gut möglich, dass diese letzte Gruppe nicht kleiner wird. Angesichts der unsicheren Zukunft ihres Landes werden viele ukrainische Geflüchtete wohl vorerst in Deutschland bleiben. "Die größte Sorge ist, nicht in Deutschland bleiben zu können", so Panchenko. Drei Jahre nach Kriegsbeginn bleibt für viele Ukrainer in Deutschland vieles ungewiss.