Der 22-jährige Student Nico telefoniert mit einem Klapphandy.

Berlin Brandenburg Ein Leben ohne Smartphone ist möglich

Stand: 28.01.2025 08:19 Uhr

Ein Leben ohne Smartphone ist für viele heute nicht mehr vorstellbar. Doch bei jungen Menschen geht der Trend weg von dem ständigen Begleiter. Manche verlegen ihr Leben verstärkt wieder ins Analoge – mit Tastenhandys. Von Linh Tran, Christina Rubarth und Jenny Barke

Nico ist Trendsetter, ohne es zu wissen. Er steht an einer Tramhaltestelle in Frankfurt (Oder), die Hände in den Taschen seiner Jacke vergraben, als sein Telefon klingelt. Der Klingelton verströmt den Charme der Nullerjahre. Er zückt das knallgelbe Gerät, schiebt es auf. Der 22-jährige Student nutzt seit knapp vier Monaten ein altes Tastenhandy.
 
Ein Drittel der Deutschen wünscht sich, 2025 die Zeit an digitalen Geräten wie Handy und PC zu reduzieren. Das geht aus einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der DAK hervor. Bei den 14- bis 29-Jährigen sind es demnach sogar die Hälfte.
 
Auslöser bei Nico für den Umstieg auf das Tastenhandy war ein praktischer: Sein Smartphone war kaputt. Doch inzwischen will er gar nicht mehr zurück.

Rückkehr der "Dumbphones"

Wie viele Teenager und junge Erwachsene wieder zum alten Tasten- oder Klapphandy greifen, ist schwer zu sagen. Das Telekommunikationsunternehmen Nokia teilt mit, dass der Absatzmarkt für alte Handys vor allem in den USA wieder nach oben geht [cnbc.com]. In den USA gab es laut Zahlen, die vom Online-Portal Statista aufbereitetet wurden, vor allem bei der Generation Z, also der zwischen 1995 und 2010 Geborenen ein Kaufinteresse für die alten Handys.
 
Auf sozialen Netzwerken tauscht man sich auch im deutschsprachigen Raum seit ein, zwei Jahren immer wieder über alte Tasten- oder Klapphandys aus. Manche werden sogar mit Schmucksteinen aufgehübscht, andere User freuen sich über die alten Spiele wie "Snake". Dabei geht es um bewussten Medienkonsum, manchmal aber auch einfach darum, die Ästhetik der Neunzigerjahre zu feiern.

Die 22-jährige Studentin Kira verzichtet noch bis zum Ende der Klausurenphase auf ihr Smartphone.

Die 22-jährige Kira verzichtet bis Ende Februar aufs Smartphone

Digital Detox für mentale Gesundheit

Internetsoziologe Stephan Humer erforscht seit mehr als zehn Jahren die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Gesellschaft. Er kann das Interesse der Generation Z an den Retro-Handy nachvollziehen. "In allen früheren Altersgruppen und Milieus dominierte am Anfang viel mehr die Experimentierfreude. Es war eine neue Welt, die es kennenzulernen galt, und die als Erweiterung gesehen wurde." Für jüngere Menschen gelte das nicht, sagt der Professor an der privaten Hochschule Fresenius Berlin.
 
Auch die 22-jährige Studentin Kira aus Berlin verzichtet seit drei Wochen auf ihr Smartphone. Anders als bei Nico war das eine bewusste Entscheidung. Als es ihr vor Weihnachten nicht gut geht, versucht sie sich abzulenken, verbringt viel Zeit am Handy, bis sie merkt, dass ihr das schadet. "Ich war gar nicht mehr richtig da, ich habe wenig gegessen, wenig geschlafen, Dinge aufgeschoben." Sie hatte das Gefühl, die am Smartphone verbrachte Zeit sei sinnlos und sogar ungesund. "Das wollte ich nicht mehr."
 

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SMS und Anrufe, sonst nix

Mit einem Klapphandy geht es ihr nun deutlich besser, sagt sie. Sie habe mehr Zeit, sich auf Gespräche zu konzentrieren und sich mit ihren Gedanken auseinander zu setzen. Und statt auf Nachrichten zu warten, ruft sie ihre Freunde häufiger an. Ausgeschlossen von Chat-Gruppen oder Verabredungen fühlt sich Kira nicht. "Ich treffe mich genauso häufig mit Freunden wie vorher."
 
Sie nutzt auch noch soziale Medien wie Instagram, nur eben nicht am Smartphone und dadurch bewusster. Ihr Plan ist bis Ende Februar, dem Ende der Klausurenphase, beim Handy ohne Apps zu bleiben. Aber sie kann sich auch vorstellen, das länger zu machen.

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Rund 3 Stunden Bildschirmzeit täglich

Laut einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag des Digitalverbands Bitkom-Studie nutzten im Jahr 2024 die Deutschen ihr Smartphone im Schnitt rund zweieinhalb Stunden pro Tag. Bei den 14 bis 29-Jährigen sind es sogar rund drei Stunden. Nur ein Bruchteil davon fällt aufs Telefonieren [bitkom.org].
 
Eine anschließende Umfrage im Auftrag des Digitalverbands ergab, dass sich 41 Prozent der Deutschen bereits eine digitale Auszeit vorgenommen hat. Der Vorsatz bezog sich entweder auf den Verzicht von digitalen Angeboten, wie beispielsweise Social Media, oder auf das Ausschalten bestimmter Geräte wie Smartphones, Spielekonsolen. Eine Woche oder länger durchgehenden Verzicht haben nur sechs Prozent geschafft. Nur drei Prozent haben auch wirklich alle Geräte komplett abgeschaltet [bitkom.org].
 

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Digital-Detox fällt vielen schwer

"Meine erste Tramfahrt ohne Smartphone war ein bisschen langweilig. Man merkt schon, dass es einem fehlt", erinnert sich Nico in der Tram auf dem Weg zur Uni. Sein Klapphandy konnte sogar auch mal ins Internet, aber jetzt funktionieren nur noch SMS und Telefon.
 
Die Menschen um ihn herum starren fast alle auf ihre Smartphones oder hören Musik, kriegen nicht viel mit von dem, was um sie herum passiert. Hinter ihm setzt sich eine junge Frau Kopfhörer auf. Ob sie sich eine Digital Detox-Zeit vorstellen könnte, wie es Nico gerade macht? Es falle ihr manchmal schon schwer, das Handy wegzulegen, sagt sie. "Ich glaube, wenn man wechseln würde, fällt es einem mit der Zeit leichter. Aber ich hätte trotzdem immer irgendwie die Versuchung, gerade auf soziale Medien zuzugreifen."

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Eremit in der Höhle?

Der Internetsoziologe Humer glaubt nicht, dass der komplette Smartphoneverzicht eine Zukunft hat. "Es ist nichts gewonnen, wenn man sich wie ein Eremit in der Höhle abkapselt. Denn wir müssen uns mit Digitalisierung arrangieren. Und sie hat auch in wahnsinnig vielen Fällen extreme Vorteile." Was es immer brauchen werde, sei Medienkompetenz, um seinen Konsum zu reflektieren - und Medien bewusst zu nutzen. Deshalb hält er es für sinnvoll, wenn Menschen auf ihr Smartphone verzichten - jedoch nicht dauerhaft, sondern für kurze Dauer, um ihr Verhalten zu hinterfragen.
 
Eine Studie der Ruhr-Universität Bochum aus dem Jahr 2022 zeigt: Ein kompletter Verzicht aufs Smartphone ist nicht unbedingt nötig, um die Zeit am Handy zu reduzieren. Noch vier Monate nach dem Ende des Experiments nutzte die Testgruppe, die eine Woche komplette auf ihr Smarthone verzichtet hatte, ihr Smartphone durchschnittlich 38 Minuten pro Tag weniger als zuvor. Die Gruppe derer, die im Experiment täglich eine Stunde weniger mit dem Smartphone verbracht hatten, nutzten es nach vier Monaten sogar 45 Minuten weniger pro Tag als zuvor. [news.rub.de]. Doch insgesamt ist die Forschung hier noch sehr am Anfang und kommt zum Teil auch zu widersprüchlichen Ergebnissen.

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Ganz ohne Messengerdienste gehts für Nico nicht

Wie für viele war auch Nicos Smartphone seine Dauerbegleitung. Vorm Aufstehen durch Instagram scrollen, vorm Schlafengehen nochmal kurz WhatsApp checken - und spät einschlafen. Jetzt schläft er mehr und besser, sagt er, liest öfter als früher und sitzt auch einfach mal nur in der Sonne.
 
Nico hat heute Dienst im AStA-Büro. Für seine Arbeit dort hat er seinen Laptop dabei, darauf: WhatsApp. Ganz ohne geht es vor allem bei der Arbeit nicht, sagt er. Doch seine Freunde sind für ihn auf SMS umgeschwenkt. Sein Freund Dalai kann sich Nicos Modell für sich allerdings nicht vorstellen. "Weniger Smartphone ja, gar kein Smartphone? Auf keinen Fall."

Sendung: rbb24 Abendschau, 28.01.2024, 19:30 Uhr