
Berlin Brandenburg Was die Prävention von Taten wie in Aschaffenburg so schwer macht
Nach der Gewalttat in Aschaffenburg hat sich vieles verändert. Die Politik wird getrieben von einer populistischen Migrationsdebatte. Abseits davon stellt sich die Frage, wieso das Gefährdungspotenzial des Täters nicht früher erkannt wurde. Von Simon Wenzel
Die Frage wird nicht zum ersten Mal nach einer fatalen Gewalttat gestellt: Wieso konnten die Sicherheitsbehörden das, was in Aschaffenburg geschehen ist, nicht verhindern?
Der Täter war offenbar polizeibekannt, gegen ihn wurde in 18 Fällen ermittelt - auch wegen Körperverletzung. Zudem soll er in psychiatrischer Behandlung gewesen sein. Einige machen daraus ein erhöhtes Gefährdungspotenzial. Noch dazu war der Asylantrag des Mannes aus Afghanistan offenbar bereits abgelehnt worden und der Mann damit ausreisepflichtig.

Polizeigewerkschaft wünscht sich systematische Datenbank
Neben dem Bundestag, der von Debatten um Anträge zur Verschärfung der Migrationspolitik bestimmt wird, beschäftigen sich auch mehrere Bundesländer mit dem Thema. Im Berliner Abgeordnetenhaus kam Anfang der Woche die Frage auf, wie viele Personen in Berlin genau in das Profil des Täters von Aschaffenburg fallen: Also bereits als Straftäter aufgefallen sind, eine bekannte psychische Erkrankung haben und abgelehnte Asylbewerber sind. Am Montag beantwortete Innenstaatssekretär Christian Hochgrebe (SPD) in einer Sitzung des Innenausschusses diese Frage. Allerdings mit der Antwort: Das wisse man nicht.
Rund 2.700 Personen seien derzeit ausreisepflichtig und hätten keinen Duldungsstatus, erklärte Hochgrebe. Eine systematische Erfassung aber, wer davon bereits straffällig geworden ist und auch noch eine psychische Erkrankung hat, erfolge nicht. 14.000 Geflüchtete sind zwar eigentlich auch ausreisepflichtig, haben aber aus unterschiedlichen Gründen eine Duldung. Beispielsweise sei eine Rückführung auch dann nicht möglich, wenn im Heimatland die psychische Behandlung unmöglich sei, sagte Hochgrebe.
Das gilt auch dann, wenn man die in der Debatte von einigen Seiten (und Parteien) bewusst nach vorne gestellte Kategorie "ausreisepflichtig" ausklammert. Die Suchanfrage nach der Schnittmenge aus "bekannter Straftäter" und "psychiatrische Behandlung" würde eine ebenso unzuverlässige Datenlage liefern.
Auch Datenabgleich mit BAMF erwünscht
Die Berliner Gewerkschaft der Polizei fordert deshalb nun, genau das zu verbessern. "Wir brauchen eine Datenbank", sagt deren Sprecher Benjamin Jendro. Eine Datenbank, die verlässlich Überschneidungen zwischen polizeibekannten Straf- und insbesondere Gewalttätern sowie möglicherweise relevanten psychischen Krankheiten liefert und - im nächsten Schritt - dann eben auch verknüpft werden kann mit dem Status eines Asylantrags bei Geflüchteten.
Gepflegt von Sicherheitsbehörden und - und das wäre ein elementarer Teil seiner Forderung - Psychiatern. Ein Vorschlag, der nach Datenschutzbedenken schreit. Jendro ist das bewusst, deshalb sagt er direkt hinterher: Eine solche Datenbank müsse auch nicht bei der Polizei liegen, er wolle gar nicht auf Details aus Patientenakten zugreifen können. Vielmehr schwebt ihm ein Warnsystem vor. "Ein Abgleich von polizeilichen Daten mit Personen, die mehrfach durch Gewalttaten auffallen und auf der anderen Seite der Feststellung von psychischen Erkrankungen."
Daraus soll dann, beispielsweise mittels einer Ampel, ein Alarmautomatismus werden, der auf rot springt, wenn bei polizeibekannten Straftätern ein Psychiater eine möglicherweise relevante Diagnose einträgt, die in der polizeilichen Bewertung das Risiko für eine Straftat nach oben erhöhe. An ein solches System sollten dann auch andere Stellen, wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlingsangelegenheiten (BAMF) angeschlossen sein. Das könnte beispielsweise übermitteln beziehungsweise abfragen, ob eine ausreisepflichtige Person Kriterien erfüllt, die ein höheres Potenzial für eine Straftat nahelegen.

Polizei arbeitet bereits mit personengebundenen Hinweisen
Bislang gibt es für die Polizei nur die Möglichkeit, sogenannte personengebundene Hinweise (PHW) in der Polizeidatenbank zu hinterlegen. Sie haben einen taktischen Zweck. Einsatzkräfte, die an einen Ort gerufen werden, können daran beispielsweise erkennen, ob die verdächtige Person beispielsweise bereits als bewaffneter Gewalttäter aufgefallen ist. Auch Hinweise auf vermeintliche psychische Erkrankungen gibt es hier bereits. So hat die Berliner Polizei die "PHW"-Vermerke "psychische und Verhaltensstörung" und "Suizidgefahr". Bei letzterem sind Psychiater bereits jetzt angehalten, die Sicherheitsbehörden zu alarmieren, zum Schutz ihrer Patienten.
Das Portal "netzpolitik" (externer Link) erfragte im Januar bei den Bundesländern, wie viele Datensätze mit dem PHW "psychische und Verhaltensstörung" derzeit genutzt werden. Das Land Berlin gab demnach an, derzeit 814 (Stand Januar 2025) solcher Vermerke in seiner Datenbank zu haben. Aus einer Antwort auf eine schriftliche Anfrage im Abgeordnetenhaus Von Oktober 2023 geht hervor, dass in den letzten Jahren jeweils rund 300-370 solcher PHW-Vermerke neu angelegt wurden. Bereits jetzt gibt es also entsprechende ermittlungstaktische Hinweise bei der Polizei, ähnlich der gewünschten Datenbank.
Ein Großteil dieser – auch das ging aus der Anfrage hervor – sei zudem für Polizeidienststellen in anderen Bundesländer und die Bundespolizei abrufbar, im Polizeisystem POLIKS. Auch das, die mangelhafte Vernetzung zwischen den Sicherheitsbehörden der Länder wird immer wieder kritisiert. Denn, so Jendro, auch wenn in der Theorie die Daten ausgetauscht werden können, in der Praxis hätten weder alle Polizisten immer den Zugriff auf diese Daten, noch würden die jeweiligen Polizeibehörden der Länder einheitlich mit den Hinweisen vorgehen. Berlin beispielsweise hat auch noch einen Vermerk mit Namen "ausländischer Intensivstraftäter", den gibt es in anderen Bundesländern nicht und dann kann diese Erkenntnis auch nicht ausgetauscht werden.
Allein aus der Tatsache, dass ein Mensch eine psychische Erkrankung hat, lässt sich keine Gefährdung ableiten.
Psychologen-Fachverband kritisiert Forderungen nach Register
Folgt man der Datenbank-Idee der Gewerkschaft, bleibt dennoch entscheidendes unklar: Wie geht das mit dem Datenschutz, insbesondere in Bezug auf das Arztgeheimnis zusammen und selbst wenn es zu Aufweichungen käme, welche psychiatrischen Behandlungen sollen gemeldet werden? Und ist es überhaupt zielführend, aus einer psychischen Erkrankung eine höheres Gefährderpotenzial abzuleiten?
Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) warnt vor letzterem in einem am Mittwoch veröffentlichten Statement. Psychische Erkrankungen seien gut behandelbar, wenn Menschen denn die notwendige Hilfe erhielten. Ein Register und eine Aufweichung des Arztgeheimnisses hingegen würden vielmehr die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Betroffene sich die notwendige Hilfe nicht suchen aus Angst vor Stigmatisierung. Deshalb seien diese Instrumente kein geeignetes Mittel der Gewaltprävention, heißt es in dem Statement. Eine bereits bekannte Position der Fachleute.

Die Präsidentin der DGPPN, Prof. Dr. Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank, sagt: "Allein aus der Tatsache, dass ein Mensch eine psychische Erkrankung hat, lässt sich keine Gefährdung ableiten." Es gebe durchaus bestimmte psychische Erkrankungen, die mit einem "erhöhten Risiko für Gewalttaten einhergehen", allerdings sei auch das keine Regel, sondern nur eine mögliche Folge, wenn die Person nicht fachgerecht behandelt würde.
Erkennen sie Anzeichen für die Gefährdung Dritter oder eine Gefährdung des Patienten selbst durch dessen psychischen Gesundheitszustand, so melden Therapeuten und Ärzte das bereits jetzt den Behörden. "Wir brauchen hierfür keine verschärften Gesetze", sagt Gouzoulis-Mayfrank. Auch die DGPPN arbeitet angesichts der aktuellen Diskussion auf politischer Ebene an einem neuen Positionspapier, das den politischen Entscheidern anschließend zur Verfügung gestellt werden soll, heißt es.
Sicherheitsbehörden müssen priorisieren
Eines ist auch der Polizei-Gewerkschaft klar: Alle Taten würden sich auch mit einer Datenbank und einem Alarmsystem nicht verhindern lassen: "Da muss man ehrlich sein: Wenn sich jemand entscheidet, mit einem Messer los zu rennen und Menschen zu töten, lässt sich das nie in allen Fällen verhindern. Aber wir müssen Strukturen schaffen, um den Sicherheitsbehörden bestmögliche Chancen zu geben", sagt Jendro.
Die Berliner Polizei müsse immer priorisieren, weil die Mittel zur Überwachung aller potenzieller Gefährder nicht ausreichten. Diese Priorisierung könne das vorgeschlagene System verbessern, glaubt Jendro. Und nicht nur das der Polizei. "Da geht es auch um das BAMF und auch um Justiz und um psychiatrische Einrichtungen", sagt Jendro. Wenn jemand gefährlich und psychisch labil sei, müsse derjenige schneller in Behandlung kommen und wenn jemand eben gefährlich und ausreisepflichtig sei, müsse dessen Abschiebung gegenüber der von ungefährlichen Personen, die ebenfalls kein Anrecht auf Asyl haben, priorisiert werden.
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