Kandidatencheck des rbb am 18.02.2025. (Quelle: rbb)

Brandenburg Berlin Analyse zum rbb-Kandidatencheck: Es geht also auch sachlich

Stand: 19.02.2025 08:02 Uhr

Der rbb lud am Dienstag die Vertreter aller derzeit im Bundestag vertretenen Parteien aus Brandenburg und Berlin zum großen TV-Wahlcheck. Die Bandbreite an Themen war eine Herausforderung. Die Debatte lieferte manche Überraschung. Von Hanno Christ

Lacher des Abends

Als rbb-Moderatorin Andrea Vannahme den Linken-Spitzenkandidat Gregor Gysi fragt, wie ihm seine Ausbildung als Facharbeiter für Rinderzucht im Bundestag zugutekomme. Er könne melken, das sei wichtig, um Steuern einzutreiben. Und weil er gelernt habe mit Hornochsen umzugehen. Das habe ihm sehr geholfen im Bundestag. Ein heiterer Moment in einer ansonsten von großer Ernsthaftigkeit geprägten Sendung.

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Die Sendung, das Setting

Sieben Parteien-Vertreter dicht an dicht an ihren Stehpulten vor den beiden Moderatoren, Sascha Hingst und Andrea Vannahme, hoch über Berlin in der Dachlounge des rbb. Im Publikum dahinter Zuschauer, aber auch Menschen, die in kurzen TV-Einspielern auftauchten. Ihr Job: Politiker mit der Realität konfrontieren und Probleme greifbar machen. Und nein: Es gibt in den folgenden knapp eineinhalb Stunden weder für die eine Partei, noch die andere besonders viel oder wenig Applaus – oder gar Buhrufe. Die Moderatoren führen straff durch etwas mehr als 100 Minuten Sendung und durch einen Dschungel von Themen. Um das enge Zeit-Korsett nicht zu sprengen, muss Moderator Sascha Hingst immer wieder freundlich, aber nachdrücklich darauf hinweisen: "Ausdiskutieren geht heute nicht." Besonders Gysi fällt es offenkundig schwer, sich daran zu halten. Ohne die Zeit limitiert zu haben - eine Stoppuhr dafür gab es nicht -, blieb das Gefühl, dass keiner oder keine zu kurz kam.

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Die Gäste

Drei Frauen, vier Männer. Sieben Vertreter der im Bundestag vertretenen Parteien, darunter mit Oliver Ruhnert vom BSW nur einer, der derzeit noch nicht im Bundestag sitzt, dafür aber auch Abgeordnete wie Linken-Politiker Gysi oder Jan-Marco Luczak von der CDU, die besonders viel Erfahrung im Parlament mit sich bringen. Es ist eine Runde gemixt mit Brandenburgerinnen und Brandenburgern, mit Berlinerinen und Berlinern. Herausforderungen sind damit nicht nur viele bundespolitische Themen in einem vergleichsweise knappen Zeitfenster unterzubringen, sondern sie auch am besten gleich noch in der Region runterzubrechen – für die Stadt wie das Land. Mit Ruhnert, Beatrix von Storch von der AfD, Linda Teuteberg von der FDP und CDU-Mann Luczak sind zugleich auch fünf Spitzenkandidaten der Landesverbände im Studio. Bei der SPD werden Olaf Scholz von Maja Wallstein (Listenplatz zwei) vertreten, bei den Bündnisgrünen Annalena Baerbock von Michael Kellner (ebenfalls Listenplatz zwei). Geladen sind außerdem Gäste aus Brandenburg und Berlin wie ein BVG-Busfahrer, eine Schuldirektorin aus Spandau oder ein Integrationshelfer aus Nuthetal.

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Die Themen

Sind vielfältig. Einstiegsthema in die Sendung ist diesmal nicht etwa das große Thema des Wahlkampfes, die Migration, sondern Schnellfragerunden wie etwa zum Böllerverbot - stimmt, da war doch was... Das ist zwar gerade zwar kein Debatten-Knaller mehr, aber doch ein anderer Einstieg, als von Zuschauern vielleicht erwartet. In der Runde der sieben Kandidatinnen und Kandidaten kann sich keiner für ein flächendeckendes Verbot erwärmen, manche aber zumindest für ein regional begrenztes.
 
Die Schnellfragerunde über die Abschaffung des Heizungsgesetzes, erhitzt dagegen schnell die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kandidatenchecks. Während von Storch, Ruhnert ("Schuss in den Ofen"), Luczak und Teuteberg, das Gesetz abwickeln wollen, versuchen sich Wallstein und Kellner ("war kommunikativ nicht gut gemacht") an der Rettung. Gysi fordert: Wenn der Staat es den Menschen abverlangt, dann müsse er dafür auch finanziell geradestehen. Die Debatte über die Heizung daheim bleibt ein emotionales Erbstück dieser Ampelregierung – und weiterhin eine Option für einen feurigen Sendungs-Opener.

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Migrationsdebatte einmal anders

Nicht weniger Emotionen stecken im Thema Zuwanderung. Tatsächlich aber kommen in dieser Sendung kein einziges Mal die Anschläge von Aschaffenburg, München oder Magdeburg vor. Nicht einmal von Storch erwähnt die tödlichen Attacken. Das ist womöglich der knappen Zeit geschuldet, wohl aber auch, dass die Debatte in der Sendung weniger um Abschiebungen und Gewalt kreist, sondern auch um die konstruktivere Gestaltung von Migrationspolitik. Immer wieder geht es um konkrete Probleme vor Ort wie etwa in der Werkstatt eines Tischlers in Nuthetal oder in einer Schule in Spandau. Alle Teilnehmer sprechen sich für eine andere Regelung und Begrenzung der Zuwanderung aus – wie sie es genau machen wollen, wird aber höchstens angerissen.

Und nahezu alle fordern mehr Fordern aber auch mehr Fördern, wie eine schnellere Integration in den Arbeitsmarkt. Da widerspricht sogar nicht einmal die AfD. Von Storch verlangt, Anreize abzubauen ("Magnet abstellen"), Luczak fordert eine "Atempause" und Teuteberg Zurückweisungen und eine Klärung des Flüchtlingsstatus an der EU-Außengrenze, sonst könne Integration nicht gelingen. Als bedrückend schildert Semere Tesfahem die Debatte in Deutschland, an diesem Abend im Publikum im rbb-Studio. 2015 war er als Flüchtling gekommen, macht mittlerweile seinen Meister als Elektriker. Nun frage er sich, ob er überhaupt noch in Deutschland bleiben dürfe. Das mache ihm Angst.

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Wirtschaftliche Lage

Nicht weniger bedrückend und beängstigend schildern Betroffene in Einspielern ihre wirtschaftliche Situation. Die Frage an die Kandidaten-Runde, wie sie Preise für Lebenshaltung, Energie und Wohnraum drücken will, wird erwartungsgemäß ganz unterschiedlich beantwortet: Von der Abschaffung der Sanktionen und der Rückkehr zu Gas und Öl aus Russland (BSW und AfD) über Mietendeckel bis hin zur großen Vermögensumverteilung im Land durch eine andere Besteuerung der Reichen (BSW und Linke) oder auch von Kapitalerträgen (Linke und Grüne). Die Bandbreite an Lösungsvorschlägen, wie das Leben im Land wieder bezahlbarer werden soll, ist so breit wie weit auseinander. Und sie wird für die nächste Regierung eine der wohl größten Herausforderungen. Lösungen gab es im rbb-Kandidatencheck keine, aber eine Menge Vorschläge, wie es besser gehen könnte.

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Lebhafte Debatte zum Ukraine-Krieg

Und das, obwohl man meint, es seien bereits alle Argumente ausgetauscht. Unter den Kandidatinnen und Kandidaten des rbb-Kandidatenchecks gibt es niemanden, der außenpolitisch Experte seiner Partei ist oder gar in Friedensgespräche eingebunden ist. Trotzdem wird der Krieg Russlands gegen die Ukraine und seine mögliche Beendigung lebhaft im Studio diskutiert. Teils geht es ordentlich durcheinander. SPD-Frau Wallstein räumt ein, Angst zu haben, verteidigte aber auch nochmal den "besonnenen" Kanzler und dass er ja versucht habe, mit Putin zu verhandeln. Ruhnert hingegen spricht von einer "Ohrfeige" für die Regierung und Europa, dass Trump - und nicht die Europäer - nun mit Putin verhandelten. Kellner ruft dazwischen, dass es der Kremlchef gewesen sei, der sich Verhandlungen stets verweigert habe. Der Grüne warnt vor einer Täter-Opfer-Umkehr und erinnert daran, wer den Krieg eigentlich angezettelt hat.
 
Nicht zu vergessen: Bürokratieabbau, Tempolimit, Rente mit 70, Bürgergeld, Private Krankenversicherungen abschaffen, Abschaffung des Paragraphen 218 sind ebenfalls Themen in einer Sendung, die für ein solches Themen-Repertoire allerdings knapp bemessen ist. Am Ende ist der Kandidatencheck zu kurz, aber damit zugleich auch wieder passend für einen kurzen Turbo-Winter-Wahlkampf, in dem so viele existenzielle Themen wie schon lange nicht mehr eine Rolle spielen – mit Ausnahme eines Themas: Obwohl das vergangene Jahr das wärmste seit Beginn der Wetter-Aufzeichnungen war, findet es in der Auseinandersetzung des Abends überhaupt nicht statt. Eine Spitze gegen die Medien kann sich Grünen-Kandidat Kellner nicht verkneifen: Klima habe an diesem Abend keine Rolle gespielt, wie in vielen anderen TV-Sendungen auch.

Sendung: rbb Fernsehen, 18.02.2025, 20.15 Uhr