
Brandenburg Berlin Bela B. schreibt über Macht und sexuellen Missbrauch in der Rockszene
Wo für die einen der "Fun" aufhört, fängt er für die anderen erst an. In Bela B.s neuem Roman geht es um eine Rockband, um die Row Zero und Aftershowparties. Es geht Machtmissbrauch - und um sexuelle Belästigung. Von Nadine Kreuzahler
Das Konzert ist vorbei, die Euphorie auf dem höchsten Level, aber das Beste kommt erst noch: Die Aftershowparty backstage mit der Band "nbl/nbl". Die Pässe für den Zugang sind heiß begehrt: "Aus Neugier, just for fun, und weil der Gitarrist einfach Zucker ist, ist sie nach dem letzten Lied wie verabredet zu dem Ordner, der ihr mitten im Gewühl einen Pass gegeben hat, gegangen und von ihm hinter die Bühne gebracht worden. Doch im Backstagebereich ist die erste Ernüchterung eingetreten. Hier sind andere Frauen. Viele."
Die junge Frau, "nicht so aufgebitcht wie die meisten hier, aber auch sie hat sich mit ihrem Style Mühe gegeben", lässt sich zuerst ein bisschen auf das Spiel ein. Aber irgendwann kippt bei ihr die Stimmung. Sie fühlt sich immer unwohler, Bemerkungen wie "Shareware" und "die Band ist versorgt" lösen einen Fluchtreflex aus. Sie geht und wird dafür beschimpft, weiter passiert ihr nichts. Dafür wird später eine 18-Jährige, die zur gleichen Zeit backstage war, ein Bandmitglied wegen Vergewaltigung anzeigen.

Ähnlichkeiten mit der Debatte um Rammstein
Das System, das im Roman beschrieben wird, ist eingespielt und perfide. Die Ähnlichkeiten zum Fall Rammstein liegen sofort auf der Hand. Bei Konzerten der Band sollen weibliche Fans in der "Row Zero" für Sex gecastet worden sein. Mehrere Frauen hatten dem Rammstein-Sänger Till Lindemann 2023 sexuelle Übergriffe vorgeworfen. Alle Ermittlungen sind inzwischen eingestellt.
Es liege ihm nichts daran, von einem Skandal von vor zwei Jahren zu profitieren, sagt Bela B. Felsenheimer in einem Interview mit dem Spiegel, sein Buch habe allenfalls zufällige Überschneidungen. Das Problem sei viel komplexer, darum gehe es in seinem Roman, so Felsenheimer, es sei ein Buch über patriarchale Strukturen.
Ein Musiker, der seit Jahrzehnten auf der Bühne steht, schreibt über Musiker, die seit Jahrzehnten auf der Bühne stehen. Die Frage liegt natürlich auf der Hand, wie viel eigene Erfahrungen und Beobachtungen mit eingeflossen sind.
Bela B – ein West-Berliner Gewächs
Bela B. Felsenheimer – bürgerlich Dirk Albert - ist Schlagzeuger, Sänger und Songschreiber bei den Ärzten. Die Band hat sich 1982 in West-Berlin gegründet. Aus der dortigen Punk-Szene hervorgegangen, verstanden sich Die Ärzte gut darauf, mit ihren Songs zu provozieren und Tabuthemen anzusprechen. Einige von ihnen landeten auf dem Index.
Bela B. wurde am 14. Dezember 1962 in Berlin geboren und wuchs in Spandau mit einer Zwillingsschwester auf. Ausbildungen bei der Polizei und als Schaufensterdekorateur brach er wieder ab. Nach einigen Punkband-Projekten schon zu Schulzeiten gründete er zusammen mit Jan Vetter alias Farin Urlaub 1980 Soilent Grün, zwei Jahre später dann Die Ärzte. Wegen persönlicher Differenzen löste sich die Band Ende der 80er vorübergehen auf, um 1993 ihr Comeback zu feiern.
Neben seiner Musikerkarriere hat Bela B. auch einige Jahre Comics verlegt und ist immer wieder als Schauspieler in TV- und Kino-Filmen und in Serien zu sehen. 2019 erschien sein erster Roman "Scharnow" über ein fiktives Dorf nördlich von Berlin.

Alle Männer sind unsympathisch bis widerlich
In "Fun" geht es nun also um Machtmissbrauch im Musikgeschäft. Um die fiktive Rockband nbl/nbl, die Frauen castet, sie mit Drogen und Alkohol "lockerer" macht, sie für "Fun" ins Hotel mitnimmt, egal, ob die Frauen dabei auch "Fun" haben. Es geht um toxische Männlichkeit und Strukturen, die Sexismus befördern, nicht nur im Musikbusiness, sondern auch bei der Polizei oder zwischen Chef und Auszubildender. Alle Männer im Buch sind auffallend unsympathisch bis widerlich.
Der Schlagzeuger "Krass" bewahrt von der Vergewaltigung ein Video auf wie eine Trophäe. Der exzentrische Frontmann "Maler Meister" löst mit einem gewaltverherrlichenden und frauenverachtenden Interview einen Shitstorm aus. Es bleibt nicht der einzige. Und auch die Polizei schaltet sich ein.
Die Scham, ein Mann zu sein?
Bela B. Felsenheimer erzählt seine Geschichte aus vielen verschiedenen Perspektiven, männlichen wie weiblichen. Es gelingt ihm gut, die Dynamik unter den Bandmitgliedern und Gewerken hinter den Kulissen einzufangen, von Security, Managern, Anwälten bis zu den Roadies.
Der Roman liest sich stellenweise so, als schriebe da einer aus dem schlechten Gewissen oder der puren Scham, ein Mann zu sein. Ein gewisses Risiko liegt auch darin, als 62-jähriger Mann aus der Perspektive von Frauen zu schreiben, die Sexismus erleben. Im Spiegel-Interview erklärt Bela B. Felsenheimer dazu, dass er sein Buch vorab vor allem Frauen zum Lesen gegeben habe.

Überzeugend erzählt und mit echtem "Fun" garniert
Das hat zwar nicht verhindert, dass die Figuren – interessanterweise aber vor allem die Männer - zum Teil recht eindimensional geraten sind, aber das System des Machtmissbrauchs, die Grauzonen und der Punkt, wann und wie aus zuerst einvernehmlichem Sex eine Vergewaltigung werden kann, sind überzeugend erzählt.
Zwischen den teilweise unerträglichen, harten Szenen gibt es dann noch ein bisschen echten Fun für Fans von Bela B. und "Die Ärzte" in Form von lustigen, selbstironischen Verweisen und Scherzen: Eine fiktive Fusion mit "Die Toten Hosen" etwa oder ein Gespräch über "Scharnow", diesen "Pseudo-Tatsachenroman von dem Musiker, (…) aufgebauschter Mist und voller Fehler".
Sendung: rbb24 Inforadio, 27.01.2025, 15:00 Uhr