Symbolbild: Die Brücke verbindet Frankfurt (Oder) und die polnische Stadt Słubice. (dpa/Jaap Arriens)

Brandenburg Berlin Bürgermeisterin von Grenzstadt Słubice: "Bestraft uns nicht dafür, dass es ein Problem mit der Migration gibt!"

Stand: 05.02.2025 18:13 Uhr

Seit Ende Oktober 2023 gibt es Kontrollen an den deutschen Außengrenzen. Betroffen sind auch Słubice (Polen) und Frankfurt (Oder). Für Słubices Bürgermeisterin wären dauerhafte Grenzkontrollen eine Katastrophe.

rbb|24: Der Kanzlerkandidat der CDU, Friedrich Merz, möchte dauerhafte Kontrollen an der Grenze einführen. Was denken Sie darüber, Frau Słodownik?

Wir leben hier in einer Symbiose – Słubice kann nicht ohne Frankfurt funktionieren, Frankfurt nicht ohne Słubice. Seit vielen Jahren sind wir aufeinander angewiesen, wohlgemerkt im positiven Sinne. Die gesamte Entwicklung und alles, was hier in den verschiedensten Bereichen des Lebens passiert, findet gemeinsam statt.
 
Wir sind nicht Słubice und Frankfurt, sondern wir sind eine Doppelstadt, die durch einen Fluss als natürliche Grenze getrennt ist, aber mit einer gemeinsamen Brücke verbunden ist.
 
Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir wie damals [vor dem Schengen-Beitritt Polens, Anmerkung d.Red.] beim Überqueren der Brücke erneut Kontrollen ausgesetzt sein werden.

Marzena Słodownik, die Bürgermeisterin von Słubice. (Quelle: rbb)

Słubices Bürgermeisterin Marzena Słodownik

Was würden denn dauerhafte Grenzkontrollen für Słubice und die Einwohner bedeuten?

Ich denke, das wäre eine Katastrophe. Wir sind aufeinander angewiesen. Deutschland und Polen tauschen sehr große Mengen von Waren aus. Wir sind einer der Hauptpartner, sowohl auf wirtschaftlicher als auch gesellschaftlicher Ebene. Im Grunde genommen sind wir die besseren Partner für Deutschland als zum Beispiel die USA. Und das ist von Bedeutung für beide Seiten.
 
Und jetzt werden die Politiker entscheiden, wie das hier an der Grenze alles aussehen soll und am Ende müssen es die Bürger ausbaden. Seitdem es die vorübergehenden Kontrollen gibt, ist die Stimmung schlecht und das fördert nicht die Entwicklung. Wir haben einen wirtschaftlichen Abschwung und eine Verschlechterung der sozialen Beziehungen. Wenn wir ständige Grenzkontrollen einführen, würde das bedeuten, dass Słubice wirtschaftlich sehr große Einbußen hat.

Sie sagen, die Einführung von dauerhaften Grenzkontrollen hätte wirtschaftliche Konsequenzen für Polen, aber auch für Deutschland. Zugleich sind viele auf deutscher Seite dafür. Haben Sie dafür Verständnis?

Ich verstehe, dass es ein Problem mit der Migration gibt. Wir stehen in ganz Europa vor dieser Herausforderung. Aber ganz Europa! Wir sind durch Verträge eng miteinander verbunden, wir haben einen gemeinsamen Haushalt, wir haben eine Europäische Kommission, wir haben hier gemeinsame Strukturen; und deshalb sollten wir uns dieser Herausforderung gemeinsam stellen.
 
Im Schengen-Raum haben wir uns daran gewöhnt, dass jeder von uns reisen und Einkäufe machen kann, wo er möchte. Wir in Słubice und Frankfurt sind ein Beispiel dafür, wie das Leben sehr eng miteinander verflochten ist: Familien leben beiderseits der Oder, man lebt in Polen, arbeitet in Deutschland, die Kinder nutzen die Bildungsmöglichkeiten des anderen, wie Kita oder Schule.
Deshalb kann ich mir derzeit schwer vorstellen, wie unser Zusammenleben mit ständigen Grenzkontrollen funktionieren soll. Wir sollten daher an einer gemeinsamen Lösung arbeiten, ohne uns das Leben gegenseitig schwer zu machen.

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Haben Sie das Gefühl, dass die Bewohner der Grenzregion vergessen werden, nicht nur in Frankfurt-Słubice, sondern auch Guben-Gubin oder Görlitz-Zgorzelec?

Ja, selbstverständlich. Aus der Perspektive von Warschau und Berlin werden wir nicht richtig wahrgenommen. Deshalb machen wir auf unsere besondere Lage aufmerksam: "Berlin! Warschau! Wir haben hier ein Problem! Durch die Kontrollen gibt es Grenzstaus."
 
Wenn feste Grenzkontrollen eingeführt werden sollten, wird unser Leben erschwert. Wir haben große gemeinsame Projekte begonnen, die Zusammenarbeit läuft gut. So eine Zusammenarbeit kann man sich nur wünschen - Ich will mir nicht vorstellen, dass irgendwelche von oben auferlegten Maßnahmen uns das nun kaputt machen.

Was befürchten Sie, wenn es zu dauerhaften Grenzkontrollen kommt - dass es jeden Tag Stau gibt bzw. die Staus länger werden?

Mit Sicherheit, wenn die dauerhaften Kontrollen jeden Autofahrer, jeden Fußgänger betreffen sollten, der die Grenze überquert, dann verschlimmert sich die Situation. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass unsere Infrastruktur, die Straßen von Słubice nicht für große Mengen von Fahrzeugen ausgelegt ist, insbesondere an den Wochenenden. Die Staus betreffen sowohl Słubicer wie Frankfurter Bürger. Und ich befürchte, dass unsere Gewerbetreibenden, aber auch unsere Gesellschaft schließlich sagt: es reicht!

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Wieviele Autos passieren täglich die Stadtbrücke? Und wie viele Menschen pendeln zwischen beiden Städten?
 
Soweit ich weiß, pendeln 2.500 Personen aus Słubice und näherer Umgebung zu Arbeitszwecken täglich beziehungsweise wöchentlich. Das sieht dann folgendermaßen aus: Menschen, die außerhalb von Słubice aus entfernteren Orten in Polen kommen, kommen freitags von der Arbeit zurück und fahren sonntags wieder zur Arbeit. Insbesondere sonntags ist die Stadt komplett verstopft.
 
Zur Anzahl der Fahrzeuge: der bisherige Spitzenwert lag bei 24.000 Fahrzeugen. Im Durchschnitt sind es täglich 8.000 bis 10.000 Fahrzeuge, bei einem verstärkten Verkehrsaufkommen sogar 13.000 bis 15.000 Fahrzeuge, das gilt vor allem für Sonntag. Diese Daten hat uns auch die deutsche Seite übermittelt.

Es gibt Logistikunternehmen, die sagen, dass sie das Problem verstehen, zugleich aber auch sehen, dass ihre Mitarbeiter und viele Bürger für ständige Kontrollen sind. Sie fordern deshalb eine separate Spur für Lkw, wie zu Pandemie-Zeiten, damit der Warenverkehr reibungsloser funktioniert. Was denken Sie darüber?
 
Wenn es um die Transportbranche geht, dann haben wir auch ein großes Problem. Nicht hier in Słubice, sondern in Swiecko an der Autobahn. Denn durch die aktuellen temporären Kontrollen wurde die Fahrbahn bereits um eine Spur reduziert. Dadurch haben unsere Transporteure jetzt Verluste. Schwer zu sagen, wie das dann erst bei festen Kontrollen aussehen wird.
 
Ich kann nur an die zukünftige deutsche Regierung appellieren: Bestraft uns nicht dafür, weil es ein Problem mit der Migration gibt!
 
Wir kleinen Orte an der Grenze leben gut miteinander in Symbiose. Das dürfen wir nicht aufs Spiel setzen. Egal ob Słubice-Frankfurt, Zgorzelec-Görlitz oder Gubin-Guben, wir wollen die Möglichkeit zur Weiterentwicklung durch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit beider Städte haben.
 
Wir haben ein Migrationsproblem und müssen dieses lösen, aber auf europäischer Ebene. Setzen wir uns an einen Tisch und versuchen es gemeinsam zu lösen.

Sendung: Antenne Brandenburg, 05.02.2025, 16:30 Uhr
 
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine übersetzte, gekürzte und redigierte Fassung. Das Interview führte Stefan Kunze für Antenne Brandenburg.