
Brandenburg Berlin Bundestagswahl: Migration dominiert Wahlkampf - andere Themen kommen zu kurz
Nach den Anschlägen von Magdeburg und Aschaffenburg dominierte das Thema Migration den Bundestagswahlkampf. Andere wichtige Themen wie Klimawandel und soziale Gerechtigkeit blieben dagegen weitgehend unbeachtet. Wie kam es dazu? Von Christoph Hölscher
Von der letzten Bundestagswahl 2021 wurde von manchen auch als "Klimawahl" gesprochen: Die Protestbewegung "Fridays for Future" war auf ihrem Höhepunkt, internationale Klimakonferenzen prägten die Berichterstattung, in Umfragen nannten die Wahlberechtigten den Klimawandel neben sozialer Gerechtigkeit als wichtigstes Thema für ihre Wahlentscheidung. Das hat sich offenbar geändert: In den politischen Debatten, "Wahlarenen" und diversen TV-Duellen und -quadrellen dieser Tage kommt das Thema Klimawandel kaum noch vor.
Für den Klimaforscher Hermann Lotze-Campen vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) ist das nach eigener Aussage "schwer nachvollziehbar". Zwei sei eine Akzentverschiebung angesichts der aktuellen Herausforderungen – Ukrainekrieg, Wirtschafts- und Energiekrise, Migration – "auch irgendwie verständlich", so Lotze-Campen. Allerdings würden die Auswirkungen und Probleme des Klimawandels ja nicht einfach verschwinden. Er gehe davon aus, dass das Thema sowieso wieder hochkomme, wenn die Folgen der konkreten Klimaerwärmung wie Überschwemmungen oder Dürren uns in Zukunft immer häufiger beträfen.

Politologe sieht Verantwortung der Parteien
Auch der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder von der Uni Kassel kritisiert, dass das wichtige Thema Klima im Wahlkampf völlig aus dem Blick geraten sei. Aber auch Themen wie soziale Gerechtigkeit, Bildung oder staatliche Investitionen in die Infrastruktur hätten im Wahlkampf nicht die angemessene Aufmerksamkeit erfahren, so Schroeder.
Spätestens mit den Attentaten von Magdeburg und Aschaffenburg habe man den Eindruck gewonnen, es gebe "nur noch ein Thema": Migrationspolitik. Diese inhaltliche Zuspitzung und Verengung hätten aber die Parteien selbst zu verantworten, stellt Schroeder fest, der einige Jahre Staatssekretär im brandenburgischen Sozialministerium war und bis 2024 der Grundwertekommission der SPD angehört hat. Grundsätzlich seien die Parteien frei darin, welche Themen sie aufnehmen. Die Verschiebung hin zum Migrationsthema sei nach Schroeders Überzeugung vor allem von der CDU "mit Kalkül" vollzogen worden, weil man in den anderen Themenbereichen keine überzeugenden Angebote habe machen können. Stattdessen habe man sich auf einen "Angstwahlkampf" konzentriert.
Wohlfahrtsverbände vermissen soziale Themen
Das Thema Migration habe "alles überwölbt", auch aufgrund der schrecklichen Anschläge, das hat auch Andreas Kazcynski beobachtet, Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Brandenburg. Die Zuwanderung sieht er zwar als "riesige Herausforderung, die wir gestalten müssen."
Allerdings fasse er sich angesichts des Wahlkampfes quasi "täglich an den Kopf" und frage sich: "Sind das wirklich die entscheidenden Themen, mit denen wir uns in Deutschland beschäftigen müssen?" Ihm fehle die Auseinandersetzungen mit gesellschaftlichen Herausforderungen wie Armut, Pflege, bezahlbarem Wohnraum, dem demographischen Wandel oder der Digitalisierung – für Kazcynski eine Fülle "enorm wichtiger Themen, die auch das Leben jedes Menschen jeden Tag beeinflussen, die aber in diesem Wahlkampf nicht vorkamen."
Das sei auch Folge gesellschaftlicher Polarisierung - gerade in sozialen Medien gebe es eine Konzentration auf "ein, zwei Aufregerthemen". Aber auch Kazcynski nimmt die Parteien in die Pflicht: Diese hätte sich durchaus auch mit anderen Themen profilieren können. Schaue man sich deren Plakate an, finde man aber nur wenige Botschaften.
Unternehmer sieht die richtigen Schwerpunkte
Tobias Exner, Bäcker aus Beelitz und Chef eines Unternehmens mit inzwischen 40 Bäckerei-Fachgeschäften in der Region, sieht das anders. Er fand den Wahlkampf zur Bundestagswahl 2025 "sehr intensiv" - dieser sei zum Teil mit "harten Bandagen", aber mit den richtigen inhaltlichen Schwerpunkten geführt worden: Migration, Integration und Wirtschaftspolitik waren für ihn zurecht die "Topthemen".
Exner beschäftigt in seinem Unternehmen nach eigenen Angaben Mitarbeitende aus 35 Ländern. Er bekennt: "Ja, wir brauchen Menschen aus anderen Ländern, die uns unterstützen – Stichwort Fachkräftebedarf." Allerdings gebe es große Probleme bei der Integration. Es müsse geklärt werden, welche Menschen nach Deutschland kommen und ob sie "zum Gemeinwohl" beitragen. Zusätzlich sieht er Handlungsbedarf bei den Themen Unterbringung, Sprache oder psychosoziale Betreuung. Als Unternehmer wünscht er sich außerdem weniger Bürokratie und finanzielle Belastungen. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen seien die Grundlage für vieles andere. In der aktuellen Krise sind Themen wie Umwelt- oder Bildungspolitik für ihn nur "Randerscheinungen": "Wenn wir keine Unternehmer mehr haben, die in ihr Land investieren, dann werden wir uns all die Dinge drumherum nicht mehr leisten können."
Politikwissenschaftler: Investitionen in Infrastruktur nörtig
Die zentrale Bedeutung der Wirtschaftspolitik betont auch Politikwissenschaftler Schroeder, wenngleich mit etwas anderen Schwerpunkten als Unternehmer Exner. Vor allem staatliche Investitionen in die Infrastruktur - etwa in den Bereichen Verkehr, Bildung, Digitalisierung oder Klimaanpassung - seien zwingend erforderlich, um der schwächelnden Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen, so Schroeder. Er ist überzeugt: Neben der Regulierung der Migration werde das nach der Wahl für die neue Bundesregierung die wichtigste Herausforderung sein, auch wenn das Thema im Wahlkampf vielleicht nicht die nötige Aufmerksamkeit erfahren hat.
Sendung: Brandenburg Aktuell, 20.02.2025, 19:30 Uhr