Archivbild: Der Jülicher Supercomputer JUWELS schafft 85 Petaflops, was 85 Billiarden Rechenoperationen pro Sekunde oder der Rechenleistung von mehr als 300 000 modernen PCs entspricht. (Quelle: dpa/Monheim)

Brandenburg Berlin Künstliche Intelligenz: So steht es um KI in Berlin und Brandenburg

Stand: 31.01.2025 06:24 Uhr

Neue KI-Anbieter wie das chinesische "Deepseek" fordern das Silicon Valley heraus. Auch in Berlin und Brandenburg wird KI erforscht und entwickelt. Ob die Technologie aber in mittelständischen Unternehmen erfolgreich sein wird, ist umstritten. Von Julian von Bülow

"Das Knowhow in der KI-Forschung ist der Gamechanger." Das sagt der Potsdamer KI-Professor Ralf Herbrich anlässlich der Veröffentlichung der großen KI-Modelle vom chinesischen Unternehmen Deepseek [tagesschau.de]. Die hätten einen ähnlichen Funktionsumfang wie der derzeitige Platzhirsch ChatGPT von OpenAI.
 
Man stellt einem Chatbot Fragen oder gibt Befehle, der generiert dann eine Textantwort. Doch während das US-Unternehmen für das Training seines aktuellen Modells einen zwei- bis dreistelligen Millionen-Dollar-Betrag ausgegeben haben soll, kamen die Deepseek-Forscher nach eigenen Angaben mit rund sechs Millionen Euro aus, und das mit leistungsschwächerer Technik.
 
Wenn das die Chinesen trotz US-Technologie-Sanktionen schaffen, warum dann nicht auch Forscher:innen aus unserer Region? Und wie steht es um die KI-Landschaft in Berlin und Brandenburg bisher? Um sich der Antwort anzunähern, ergibt es Sinn, die Diskussion um künstliche Intelligenz auf drei Feldern zu beobachten: Es gibt die Forschung zu KI-Algorithmen, es gibt das Training großer KI-Modelle und dann gibt es die Anwendung dieser Modelle in der echten Welt da draußen.

Yuki in der App Replika auf dem Bildschirm von Viktor (Quelle: rbb/Replika)
Zwischenmenschliche Liebe bekommt Konkurrenz
Ob als KI-Kumpel, als romantische Beziehung oder als digitale Ehefrau: Immer mehr Menschen bauen Beziehungen zu Chatbots mit künstlicher Intelligenz auf. Expert:innen sehen darin mentale Unterstützung, aber auch Risiken. Von Julian von Bülowmehr

KI-Modelle made in Berlin und Brandenburg? Bisher eher unbekannt

Angefangen bei den KI-Modellen: Ein ChatGPT-Konkurrent von der Spree ist derzeit zumindest der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt. Ein gewichtigen Grund erklärt Sven Schmeier, Chef-Ingenieur vom Deutschen Forschungszentrum für KI (DFKI) in Berlin: Für die Entwicklung von Deepseek kamen 2.000 Grafikkarten zum Einsatz, die in Europa jeweils rund 30.000 Euro kosten. "Das sind 60 Millionen Euro und das einzig für die Berechnung solcher KI-Modelle. Diese sind aktuell weder in Berlin noch in Brandenburg vorhanden." Wer also in das Gebiet einsteigen will, steht vor hohen Investitionskosten.
 
KI-Professor Ralf Herbrich vom Hasso-Plattner-Institut in Potsdam weist darauf hin, wie energieintensiv das Training eines KI-Modells bisher ist. Das Training von ChatGPT oder dem französischen Mistral habe zwischen 100 und 500 Millionen Dollar gekostet. Geld, das bisher niemand in diesem Rahmen in der Region in die Modellentwicklung investiert.
 
Allerdings habe das DFKI in Berlin wesentlich an der Entwicklung des Modells Occiglott und Teuken 7 mitgewirkt, erzählt Schmeier. Beide legen den Fokus auf die Amtssprachen der EU, damit auch seltener gesprochene Sprachen KI-Interaktionen ermöglichen können. Jene Modelle werden von der Bundesregierung und der EU gefördert, doch im Rampenlicht stehen eher die OpenAIs ChatGPT, Googles Gemini und Metas Llama - und nun eben Deepseek aus China.

Collage: Lara Sophie Bothur, Voice for Innovation & Corporate Tech Influencer, Deloitte Consulting auf der Bits and Pretzels Messe in München; Christian Göke, Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe Berlin auf der IFA. (Quelle: dpa/Balk/Jensen)
Berlin und München: Welche Stadt macht das Rennen als Start-up-Metropole?
Start-ups aus Bayern haben zum ersten Mal mehr Wagniskapital eingesammelt als junge Unternehmen aus Berlin. Bröckelt der Mythos der Gründermetropole an der Spree? Ein Blick nach München zeigt, was Berlin von den Bayern lernen kann. Von Efthymis Angeloudismehr

Berlin und Brandenburg stark in der Forschung

Der Fokus in Berlin und Brandenburg scheint bisher auf einem anderen Feld zu liegen: "Bei den Algorithmen, der Mathematik, mit denen man diese Modelle trainiert, stehen wir in Berlin und Brandenburg nicht schlecht da", sagt Ralf Herbrich, Inhaber des Lehrstuhls für Künstliche Intelligenz und Nachhaltigkeit am Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Potsdam. In Berlin gibt es zudem neben dem DFKI das BIFOLD-Institut, angesiedelt an der TU Berlin, das zu maschinellem Lernen und Big Data forscht.
 
Herbrich ist dieser Tage optimistisch, denn Deepseek bestätige die HPI-Arbeitshypothese, dass bei großen KI-Modellen noch großes Potenzial für Energieeffizienz und Treffsicherheit bestehe. Bisher habe das Training von KI-Modellen so viel Strom verbraucht wie eine Großstadt in Deutschland. "Das ist die Vergangenheit. Eine der beeindruckendsten Leistungen von Deepseek ist, dass es dieselbe Genauigkeit beim Training mit einem Hundertstel des Energieaufwands hinbekommt." Das sei durch eine Verbesserung der Algorithmen geschehen, daher müsse die EU im Wettbewerb um die besten KI-Modelle nicht aufgeben. Man brauche das richtige Knowhow, die richtigen Wissenschaftler, dann gehe es auch ohne 100 Millionen Euro und zehn Datenzentren, so Herbrich.

Symbolbild: Erschaffen eines Avatars in einer Handy-App. (Quelle: dpa/Jaap Arriens)
"Eine KI als Begleiter kann in schwierigen Zeiten Erleichterung schaffen"
Eine Beziehung zu einem KI-gesteuerten Chatbot kann zurückgezogenen Menschen helfen, im echten Leben in Interaktion zu treten, sagt der Psychologe André Kerber. Doch bei den kommerziellen Anbietern solcher Digitalwesen sieht er auch Risiken.mehr

KI-Förderung und Beratungsangebot wächst

Nun bleibt zu guter Letzt das Feld der Anwendungen - und Ankündigungen. Erst am Dienstag eröffnete Bundesdigitalminister Volker Wissing (parteilos, vorm. FDP) das "Innovations- und Qualitätszentrum für künstliche Intelligenz" in Berlin, "an dem Bürgerinnen und Bürger erfahren können, wie KI ihr Leben verbessert", so Wissing. Dort können Interessierte mit einem KI-basierten Sprachmodell in den Dialog treten, sich bei der Bilderkennung mit der KI messen und lernen, wie KI die Körperhaltung am Arbeitsplatz verbessert.
 
Die Berliner Universitäten haben sich mit der Charité 2021 zusammengetan und das "Künstliche Intelligenz Entrepreneurship Zentrum" (KIEZ) gegründet, um KI-Startups zu fördern. In Potsdam bietet das KI-Servicezentrum des Hasso-Plattner-Instituts Unternehmensberatung, Vorträge und Workshops an, ebenso das Digitalzentrum Spreeland der BTU Cottbus-Senftenberg oder das Digitalwerk Werder.

Politik und IHK fördern KI-Einsatz in Unternehmen

Die IHK Berlin bietet mittlerweile einen Weiterbildungskurs zum "KI-Manager" an und die IHK Ostbrandenburg fordert zur Bundestagswahl, einen "Digitalisierungsschub und KI als Chance zu nutzen", denn "die Ideen zur Anwendung künstlicher Intelligenz sind nahezu unbegrenzt", heißt es auf der Webseite. Als Beispiele werden Bild- und Spracherkennung, Sprachübersetzungen, die Erzeugung von Konstruktions- und Planungsdaten oder Filmen alleine anhand von Beschreibungen eines Ingenieurs, Architekten oder Regisseurs genannt. Medizinische Diagnostik, Therapie, autonome Fahrzeuge und Drohnen seien als Anwendungsfälle vorstellbar. Und die Text-Generierung durch KI biete Anknüpfungspunkte vom Marketing bis zur technischen Dokumentation.
 
Das brandenburgische Wissenschaftsministerium organisierte in den letzten Jahren einige Veranstaltungen zu KI, unter anderem mit dem Ziel, Unternehmen "Beispiele für KI-Anwendungen aufzuzeigen und direkte Beteiligung zu ermöglichen", heißt es auf der Webseite. Und Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) sagte im Oktober: "Wir arbeiten daran, Berlins Potenzial als KI-Standort so zu entfalten, dass aus technologischen Entwicklungen Made in Berlin neue Wirtschaftskraft und neue, zukunftsfeste Arbeitsplätze entstehen."

Künstliche Intelligenz als Komponistin - ein KI-Song im Qualitätscheck
KI-Programme können längst binnen Sekunden ganze Musiktitel erzeugen. Doch wie gut sind solche Songs? Und was bedeuten sie für die Musikbranche? Marvin Wenzel hat mit Musikern in einem Berliner Tonstudio einen künstlich erzeugten Titel getestet.mehr

Risiken des KI-Einsatzes in Unternehmen

"Künstliche Intelligenz stellt die Wirtschaft auf den Kopf, da sich Unternehmen, die KI einsetzen, einen Wettbewerbsvorteil verschaffen können", heißt es auf der Seite der IHK Ostbrandenburg. Aber ist das so? KI-Kritiker Jürgen Geuter hat daran starke Zweifel. Der Soziotechnologe aus dem transdisziplinären Otherwise Network arbeitet zur Erforschung, Implementierung und Erprobung neuer Technologien. Er macht auf vier Punkte in der derzeitigen Diskussion um KI aufmerksam.
 
Das betrifft einerseits die Trainingsdaten der großen Modelle. Denn die sind - unabhängig davon, ob der Code und die sogenannten Gewichte des Modells frei verfügbar ist oder nicht ist - häufig unbekannt. In den USA gibt es beispielsweise Gerichtsprozesse gegen OpenAI, weil Zeitungen und Künstler:innen bemängeln, dass ihre Werke erkennbar für das Training verwendet wurden, ohne dazu um Erlaubnis gefragt worden zu sein. "Die Legalität dieser Modelle steht noch ein bisschen in den Sternen, denn mir sind noch keine abgeschlossenen Gerichtsprozesse bekannt", so Geuter. In Deutschland hat im Januar die Gema das KI-Musik-Unternehmen Suno verklagt [tagesschau.de] - das Unternehmen habe ungefragt Lieder fürs KI-Training verwendet.

Eigene KI-Modelle gegen Abhängigkeit

Zweitens biete KI-Software aus den USA oder China die Gefahr größerer Abhängigkeit von diesen Ländern. Bereits jetzt sehen sich 81 Prozent deutscher Unternehmen von Diensten und Geräten aus den USA und China abhängig, so eine repräsentative BITKOM-Umfrage [bitkom.org] von Januar 2025.
 
Beispielsweise sind Microsofts Office-Produkte flächendeckend im Einsatz, die KI mittlerweile als festen Bestandteil integriert haben. Auch die Bundesregierung und die EU-Kommission nutzen die Microsoft-Software. "Was macht man eigentlich, wenn Microsoft die Preise verdoppelt oder wenn Datentransfers mit Microsoft aus Datenschutzgründen nicht mehr legal sind, weil Donald Trump irgendwelche wilden Gesetze unterschreibt?", fragt Jürgen Geuter.
 
Spezialisierte, selbstentwickelte KI-Modelle, wie sie etwa die TU Berlin zur Krebsbehandlung mitentwickelt hat, könnten hier Abhilfe schaffen. Neben den bereits benannten KI-Modellen Occiglott und Teuken 7 wird in Jülich (NRW) derzeit ein neuer Supercomputer errichtet, auf dem das europäische KI-Modell TrustLLM trainiert werden soll. Zudem gebe es einen Wettbewerb zur Entwicklung von KI-Modellen. Die Gewinner dürfen ihre Modelle auf dem Rechner trainieren, so das Forschungszentrum Jülich.

Symbolbild:  Aus zwei Computertasten wurde das Wort KI Gebildet. (Quelle: dpa/Sascha Steinach)
Mit "Parla" und "Bobbi" gegen das Datenchaos in der Berliner Verwaltung
Die Berliner Verwaltung ist und bleibt ein Sorgenkind der Stadt. Auf Bürgeramtstermine muss ewig gewartet werden und online geht noch fast gar nichts. In Zukunft gehen auch noch viele Beamte in Rente. Manche hoffen auf die KI als Retter in der Not. Von Simon Wenzelmehr

KI als Mittel gegen verschlafene Digitalisierung?

Drittens weist Geuter in der aktuellen KI-Diskussion darauf hin, dass die Omnipräsenz von KI durch das Silicon Valley einen Grund habe: "Microsoft, Google, Meta und Konsorten haben das Problem, dass sie seit dem iPhone nichts Interessantes mehr gezeigt haben." Beispiele seien etwa NFTs (eine Art digitale Besitzzertifikate), die Blockchain (eine dezentrale, recht fälschungssichere Datenbank) oder das von Meta propagierte Metaverse, von dem Mark Zuckerberg hoffte, dass Menschen mit Computerbrillen einen Großteil ihres Lebens in einer virtuellen Welt verbringen. All diese Projekte hatten ihren Hype, verschwanden aber auch schnell wieder aus der allgemeinen Öffentlichkeit. Mit KI hingegen, so Geuter, können die Unternehmen eine Science-Fiction-Erzählung aufgreifen und Versprechungen und Hoffnungen machen.
 
Das treffe wiederum in Deutschland auf offene Ohren. "Hier herrscht die Einstellung: Wir haben die ganze Digitalisierung verpennt. Jetzt müssen wir KI machen", so Geuter. Man könne sich in Deutschland gut als kompetente Innovationsperson hinstellen, indem man behaupte: Das, was das Silicon Valley gerade verkaufen möchte, ist die Zukunft. "Man bekommt auch Fördergeld dafür und mitunter ein paar Beratungsverträge", sagt der Soziotechnologe.
 
Auch der KI-Professor stellt fest: "Es gibt definitiv ein überproportionales Interesse an KI, auch weil die Bedienung so viel einfacher geworden ist." Der Vorteil daraus sei aber: "Es gibt mehr Mittel, Möglichkeiten und Interesse von jungen Leuten, zu KI zu forschen. So könnten wir schneller zu neuen Erkenntnissen in der KI-Grundlagenforschung gelangen."