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Brandenburg Berlin Interview zum Raketenabsturz: "Da sind vielleicht eine Handvoll Teile übrig geblieben"
Eine Rakete verglüht am Nachthimmel. Der Absturz aus dem Weltall war unkontrollierbar – und stellte dennoch kein großes Risiko dar, sagt Holger Krag. Bei der Esa beschäftigt er sich mit Weltraumschrott. Zu viel davon stürzt gar nicht erst ab.
rbb|24: Am frühen Mittwochmorgen war über Polen, Brandenburg und Berlin bis nach Niedersachsen ein Feuerschweif am Nachthimmel zu sehen. Eine Raketenstufe war in die Atmosphäre gestürzt und dabei verbrannt. Sind solche Ereignisse denn reines Schauspiel, Herr Krag, oder schlägt da tatsächlich etwas auf der Erde ein?
Holger Krag: Da kommt dann auch etwas am Boden an. Das muss man sich so vorstellen: Diese Weltraumobjekte kommen mit einer Geschwindigkeit von 28.000 Kilometern pro Stunde in die Atmosphäre hinein und unterhalb von etwa 100 Kilometern fängt der Zerstörungsprozess an.
Die Erdatmosphäre wird dann allmählich dichter und reißt äußere Teile ab. Das Objekt heizt sich dabei sehr stark auf, es schmilzt und die inneren Komponenten werden freigelegt. Davon kommen dann einige am Boden an. Aus Erfahrung betrifft das 20 bis 40 Prozent der ursprünglichen Masse.
Was schmilzt weg und was bleibt übrig?
Diese Strukturen bestehen größtenteils aus Aluminium. Ein Metall, mit einem relativ niedrigen Schmelzpunkt. Es ist also zu erwarten, dass Bestandteile aus Aluminium beim Wiedereintritt verschwinden. Andere Bauteile bestehen hingegen aus druck- und hitzefestem Material wie Titan oder Edelstahl nicht. Bei Raketen betrifft das zum Beispiel die Tanks oder Düsen. Das ist üblicherweise, was später am Boden aufgefunden wird.
Wenn diese Gegenstände abbrennen, entstehen Abfallprodukte – etwa sogenannte "Metallasche". Ist das schädlich?
Das ist ein sehr neues Forschungsfeld. Ehrlicherweise muss man sagen, wir wissen nicht, was sich beim Wiedereintritt wirklich abspielt. Das ist sehr schwer zu beobachten und zu messen. Wir wissen zum Beispiel nicht, was mit dem geschmolzenen Aluminium genau passiert. Bildet es Tröpfen oder wird es zu Gas und damit Teil der Atmosphäre? Was bedeutet das für uns Menschen oder das Klima? Es gibt mittlerweile viele Studien, die sich mit solchen Fragen beschäftigten. Aber noch keine endgültigen Antworten.
Wie wird so ein Absturz überhaupt eingeleitet?
Wenn das Objekt über ausreichend starke Triebwerke verfügt, ist ein kontrollierter Wiedereintritt möglich. Zuerst sucht man sich dafür einen sicheren Punkt auf der Erdoberfläche. Etwa ein großes Meeresgebiet mit möglichst wenigen Inseln wie den Südpazifik. Dann wird mit einem starken Schubimpuls das Objekt abgebremst, wodurch sich die Umlaufbahn von einem Kreis zu einer Ellipse verändert. Der richtige Zeitpunkt für diese Bremsung lässt sich errechnen.
Natürlich fallen auch diese Objekte auseinander. Aber die Trümmer landen dann in unbewohntem Gebiet. Deshalb ist dies insbesondere für große Gegenstände die beste Variante.
Wird nicht gesteuert, abgebremst, passiert das irgendwann trotzdem, aber unkontrolliert. Allerdings kann es Monate oder Jahre dauern, bis diese Objekte auf dichtere Schichten der Atmosphäre treffen und dadurch abgebremst werden. Das Ungünstige daran ist, dass sich nur schlecht vorhersagen lässt, wann es zum Wiedereintritt kommt und wo Reste einschlagen könnten.
Die Raketenstufe, die am Mittwochmorgen verglüht ist, war nicht steuerbar. Dennoch hatte die US-Organisation Aerospace einen Zeitpunkt für den Wiedereintritt vorhergesagt und mögliche Orte für den Einschlag aufgezeigt.
Aerospace hatte einen Zeitpunkt angeben mit einem Unsicherheitsfenster von plus minus drei Stunden. In der Raumfahrt ist das ungeheuer viel Zeit. Denn für eine Umkreisung der Erde braucht so ein Objekt nur anderthalb Stunden.
Deshalb hatte Aerospace vier Bodenspuren ausgegeben, entsprechend der Erdumkreisungen, die innerhalb dieser sechs Stunden möglich sein konnten. Die Vorhersage war also: Innerhalb dieser vier Umkreisungen hätte es jederzeit zum Wiedereintritt kommen können. Eigentlich heißt das nichts anderes, als dass wir nicht vorhersagen können, wo es zum Wiedereintritt kommt.
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Gibt es irgendwelche Vorsichtsmaßnahmen, die man treffen kann, um das nicht so unkontrolliert ablaufen zu lassen?
Das muss schon bei der Entwicklung berücksichtigt werden. Ist das Objekt so schwer, dass es zu einer erhöhten Gefährdung kommen kann, sollte ein kontrollierter Wiedereintritt eingeplant werden.
Viele Satelliten sind heutzutage relativ klein. Auch in diesem Fall war erwartbar, dass fast alles verglüht. Da ist es nicht notwendig entsprechende Triebwerke einzubauen.
Welche Gefahr geht von solchen herabschießenden Trümmern aus?
Einerseits passieren solche unkontrollierten Wiedereintritte leider sehr oft. Jedes Jahr kommen 200 bis 300 Tonnen Material unkontrolliert auf die Erde zurück. Doch bei dem Ereignis vom Mittwoch sind vielleicht eine Handvoll Teile übrig geblieben. Das stellt keine große Gefahr dar. Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass eines Tages ein Mensch davon getroffen wird. Aber es ist für Sie persönlich in etwa so wahrscheinlich, wie zweimal hintereinander einen Blitzeinschlag abzubekommen.
Geht bei größeren Objekten allerdings irgendetwas technisch schief, und sie lassen sich trotz entsprechender Vorkehrungen nicht mehr steuern, kann man nicht viel machen. Dann sind Prognosen wie die von Aerospace wichtig, um örtliche Behörden über die mögliche Gefahr zu informieren. Eine konkrete Warnung für einen bestimmten Ort lässt sich allerdings nicht ausgeben.
Mehr als 200 Tonnen stürzen jedes Jahr unkontrolliert in die Atmosphäre. Wie viel kann kontrolliert zurückgeholt werden?
Das ist eine ähnliche Größenordnung. Wenn Astronauten oder Cargo zur ISS geflogen werden, müssen anschließend die entsprechenden Raumkapseln kontrolliert wiedereintreten. Davon fliegen einige pro Jahr und sie sind tonnenschwer.
Raketen, die ins All fliegen, zünden meist zwei Stufen. Die erste, die am Boden gezündet wird, fällt auf 100 Kilometern Höhe wieder runter. Die zweite Stufe, beschleunigt die Nutzlast und bringt sie auf die gewünschte Umlaufbahn. Dort lässt sie ihre Fracht frei und muss anschließend zum Wiedereintritt gebracht werden. Sonst werden diese Teile zum Hindernis. Das sind quasi Wegwerfprodukte.
Insgesamt befinden sich 39.000 menschengemachte Objekte im All. Nicht nur Satelliten, sondern auch Trümmerstücke, Raketenstufen und ähnliches. Das besorgt uns.
Das erscheint nicht sonderlich effizient.
Für die Raumfahrt ist das ein Problem. Anders macht es zum ersten Mal die neue Starship-Rakete von SpaceX. Ihre zweite Stufe kommt wieder zur Erde zurück, nachdem sie einen Satelliten im Orbit abgesetzt hat. Sie kann die Erde umkreisen, sich umdrehen, bremsen, kontrolliert wieder in die Atmosphäre eintreten – und zwar über ihrem Startplatz, so dass man sie dort wieder landen und ein zweites Mal verwenden kann.
Das ist einerseits natürlich positiv, allein um die Kosten niedrig zu halten. Anderseits werden wir dadurch vielleicht noch mehr Satelliten im Orbit sehen und damit auch mehr Wiedereintritte erleben.
Das verglühte Teil gehörte zu einer Rakete, die am 1. Februar ins All geschossen wurde. Sowas stürzt also nicht umgehend wieder ab?
Richtig. Alles, was diese hohen Geschwindigkeiten erreicht und um die Erde fliegt, bleibt da erstmal. Diese Starlink-Raketen setzen ihre Fracht in wenigen Hundert Kilometern Höhe ab. Innerhalb von ein paar Wochen kommt es dann zum Wiedereintritt. Das ist in diesem Fall der erwartbare Zeitraum gewesen.
In 600 Kilometern Höhe ist die Atmosphäre dann schon so dünn, dass es rund 25 Jahre bis zum Absturz dauert. Außer man kann das kontrolliert herbeiführen. Bei 800 Kilometern sprechen wir von 200 Jahren. Was weiter als 1.000 Kilometer von der Erdoberfläche entfernt fliegt, bleibt dort eigentlich für immer. Die Atmosphäre ist dort nicht mehr wirksam. Es gibt nichts, was das abbremsen kann.
Klingt wie ein Schrottplatz, der um die Erde kreist.
Bahnen zwischen 800 und 1.000 Kilometern Höhe sind gut geeignet für Erdbeobachtungen und werden häufig genutzt. Diese Bahnen werden aber auf natürlichem Wege nicht mehr freigeräumt. Beides zusammen hat dort einen Schrottgürtel hervorgebracht.
Da Satelliten mit rund 25.000 Kilometern pro Stunde um die Erde kreisen, heißt das: Bei einem Frontalzusammenstoß beträgt die Geschwindigkeit 50.000 Kilometer pro Stunde. Dabei wird so viel Energie freigesetzt, dass nichts mehr zusammenhält. Die Bruchstücke fallen auch nicht mehr herunter und fliegen nun selbst mit 25.000 Kilometern pro Stunde auf diesen Bahnen weiter.
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Es wird noch unübersichtlicher und gefährlicher.
Ja. Momentan kreisen etwa 13.600 Satelliten um die Erde, 11.000 davon sind funktionstüchtig. Insgesamt befinden sich 39.000 menschengemachte Objekte im All. Also nicht nur Satelliten, sondern auch Trümmerstücke, ausgediente Raketenstufen und ähnliches. Das besorgt uns.
Künftig muss sichergestellt werden, dass Satelliten, die keinen Nutzen mehr haben, durch den Einsatz ihrer Triebwerke abgesenkt werden. Sie müssen sich selbst entsorgen können. Wir wollen solche toten Objekte nicht dulden. Deshalb arbeiten wir gerade an einer Spezialmission: Wir wollen einen gestrandeten Satelliten nachträglich entsorgen.
Lässt sich das Problem auch politisch lösen?
Ich bin selbst lange davon ausgegangen, dass Raumfahrt einer internationalen Gesetzgebung unterliegt. Tatsächlich regelt jedes Land das selbst. Wenn zum Beispiel SpaceX von Texas aus Raketen ins All schickt, sind Behörden in den USA zuständig. Mittlerweile sind diese Gesetze recht gut harmonisiert.
Generell wäre es jedoch gut, wenn Objekte passiv gemacht werden, wenn sie nicht mehr genutzt werden. Das heißt: Resttreibstoff sollte zwingend abgelassen werden. Damit Zusammenstöße nicht zu Explosionen führen. Außerdem sollten Raketenstarts nur erlaubt werden, wenn Objekte nach 25 Jahren wieder aus dem All verschwinden.
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2019 sind 115 Satelliten in der Erdatmosphäre verglüht. Im vergangenen Jahr waren es bis November 950. Wie kommt das?
Vor rund 60 Jahren begann die Raumfahrt und über mehrere Jahrzehnte blieb die Zahl der Satellitenstarts relativ konstant. Pro Jahr waren es um die einhundert. Jetzt sind wir bei mehr als 2.000. Wir erleben gerade eine Revolution und fangen gerade erst an, den Raum zu nutzen.
Es gibt aber einen Trend: Satelliten werden immer kleiner. Sie sind derzeit etwa so groß wie ein Kühlschrank, früher hatten sie eher die Größe eines Minivans. Außerdem fliegen sie in niedrigeren Orbits. Das führt zu dem Anstieg der Wiedereintritte. Das ist aber gar nicht schlecht. Denn wir wollen ja, dass Objekte, die nicht mehr gebraucht werden, relativ schnell wieder aus dem All verschwinden.
Insgesamt gleicht es sich aus. Zwar kommt öfter etwas zurück, insgesamt aber nicht mehr an Masse. In den siebziger und achtziger Jahren war wiedereintretender Weltraumschrott ein viel höheres Risiko. 500 Tonnen davon trafen in dieser Zeit jedes Jahr unkontrolliert auf die Atmosphäre.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Oliver Noffke für rbb|24.
Sendung: rbb24 Abendschau, 19.02.2024, 19:30 Uhr