Justizbeamter im Flur der Untersuchungshaftanstalt Moabit in Berlin mit geschlossenen Zellentüren. (Quelle: imago images)

Brandenburg Berlin Wann mutmaßliche Täter in U-Haft oder auf freien Fuß kommen

Stand: 18.05.2025 17:50 Uhr

Auch wer direkt vor den Augen der Polizei eine Straftat begeht, kann meist gleich nach seiner Vernehmung wieder frei herumlaufen. Denn in U-Haft muss derjenige nur, wenn Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr vorliegen.

Auch viele direkt nach einer Tat von der Polizei gefasste mutmaßliche Täter kommen nach ihrer Vernehmung und erkennungsdienstlichen Maßnahmen schnell wieder auf freien Fuß.
 
So geschehen nun auch in Berlin. Ein 28-jähriger Mann, der am Freitagabend vor einer Polizeidienststelle im Berliner Rollbergviertel einen Polizisten mit einem Messer schwer verletzt hatte, ist inzwischen wieder frei, weil "keine gesicherten Erkenntnisse für einen gezielten Messereinsatz des Beschuldigten vorliegen", so die Staatsanwaltschaft. Daher bestehe aktuell kein dringender Tatverdacht für ein versuchtes Tötungsdelikt.
 
Die Voraussetzungen für einen Haftbefehl hätten nicht vorgelegen, sagte Staatsanwaltschaft Michael Petzold dem rbb. Der Beschuldigte sei in Berlin wohnhaft und gemeldet. Es sei nicht davon auszugehen, dass er sich dem Strafverfahren entzieht, hieß es weiter. Daher sei er aus dem vorläufigen Gewahrsam entlassen worden.
 
Fragen und Antworten dazu, welche Regeln für Festnahme, Gewahrsam und Haftbefehl gelten.

Polizist durch Messer verwundet am 17.05.2025 in Berlin Neukölln. (Quelle: Pudwell)
Polizist mit Messer schwer verletzt - Ermittler sichten Beweismaterial
Ein Polizist wird vor einer Wache in Berlin-Neukölln schwer mit einem Messer verletzt. Der Verdächtige ist kurz danach wieder auf freiem Fuß. Auch zwei Tage nach dem Vorfall sind Fragen offen. Die Polizei sichtet Beweise, darunter ein Überwachungsvideo.mehr

Wie kann es sein, dass ein mutmaßlicher Täter direkt nach der Tat wieder freigelassen wird?

Die Erklärung liegt im deutschen Rechtsstaatprinzip und den engen gesetzlichen Vorgaben für etwaigen Freiheitsentzug. Geregelt sind diese in der Strafprozessordnung (StPO) [gesetze-im-internet.de]. Eine Person darf demnach nur in inhaftiert werden, wenn bestimmte rechtliche Voraussetzungen (dringender Tatverdacht und Haftgründe) erfüllt sind. Diese müssen in jedem Einzelfall geprüft werden.

Darf die Polizei einen Tatverdächtigen direkt in Haft nehmen?

Die Polizei kann keine Untersuchungshaft anordnen. Das ist ausschließlich Sache eines Richters. Die Polizei darf eine Person unter bestimmten Umständen lediglich zur präventiven Gefahrenabwehr vorläufig festnehmen (vorläufiges Gewahrsam). Bei polizeilichem Gewahrsam handelt es sich - anders als bei jemandem in U-Haft - nicht um Haft und die Person gilt auch nicht als Beschuldigter. Wer vorläufig festgenommen wurde, muss schnellstmöglich (spätestens nach 48 Stunden) einem Haftrichter vorgeführt werden, der über eine Untersuchungshaft entscheidet. Eine Person länger ohne richterlichen Beschluss festzuhalten ist rechtswidrig.

Was sind Gründe für eine vorläufige Festnahme?

Wenn eine richterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass die Festnahme gefährdet wird ("Gefahr im Verzug"), auf frischer Tat ertappten Tätern oder wenn ein Haftbefehl vorliegt, darf die Polizei eine Person vorläufig festnehmen.

 
Die Person darf dann maximal bis zum Ende des folgenden Tages festgehalten werden – dann muss sie dem Haftrichter vorgeführt werden (§ 128 StPO).

Symbolbild: Justizvollzugsanstalt Brandenburg, aufgenommen am 08.03.2011. (Quelle: Picture Alliance/Bernd Settnik)
Sechs Verdächtige wegen zu langer Verfahren aus U-Haft entlassen
Zahlreiche Ermittlungsverfahren in Brandenburg können nicht fristgerecht bearbeitet werden. Der Grund: Es fehlt an Richtern und Staatsanwälten, um alle Fälle zu bearbeiten. So kam es auch 2024 zu Entlassungen Tatverdächtiger ohne Urteil.mehr

Wo wird eine von der Polizei vorläufig festgenommene Person festgehalten?

In der (nächstgelegenen) Polizeidienststelle in einer Gewahrsamszelle. Dabei handelt es sich um funktionelle Räume für den kurzfristigen Freiheitsentzug. Sie werden beispielsweise auch zur Ausnüchterung von Personen genutzt.

Wo erfolgt die Unterbringung, wenn ein Haftrichter Untersuchungshaft anordnet?

Dann erfolgt die Verlegung in eine Justizvollzugsanstalt (JVA) mit einer U-Haft-Möglichkeit. Die Zellen dort sind ebenfalls funktional, aber wohnlicher als polizeiliche Gewahrsamszellen. Es gibt beispielsweise auch Schränke für persönliche Gegenstände.

Unter welchen Voraussetzungen entscheidet ein Haftrichter auf Untersuchungshaft?

Die wichtigste Voraussetzung ist ein dringender Tatverdacht. Es muss konkrete Hinweise darauf geben, dass die festgenommene Person die Tat tatsächlich begangen hat. Zusätzlich muss ein sogenannter Haftgrund vorliegen.

Was sind Haftgründe?

Als Haftgründe (geregelt in §§ 112, 112a StPO) zählen vor allem:
 

    Fluchtgefahr (wenn Grund zu der Sorge besteht, dass sich der Beschuldigte dem Verfahren entzieht)
     
    Verdunkelungsgefahr (wenn befürchtet wird, dass Beweismittel vernichtet oder Zeugen beeinflusst werden könnten)
     
    Wiederholungsgefahr (bei bestimmten schweren Straftaten; etwa wiederholter Gewalttätigkeit)
    Schwere der Tat (bei besonders schweren Delikten, z. B. Mord, kann auch die Tat selbst Haftgrund sein. Hier muss aber die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Das heißt, die Untersuchungshaft darf nicht außer Verhältnis zur Schwere der Tat und zur zu erwartenden Strafe stehen)
     
Der Schriftzug «Staatsanwaltschaft Berlin» ist am Eingang des Gebäudes in der Turmstraße angebracht 16.08.2024
41-Jähriger wegen gewaltsamer Entführung in Untersuchungshaft
mehr

Wie lange darf eine Person in Untersuchungshaft bleiben?

Die Dauer der Untersuchungshaft (U-Haft) ist nicht pauschal begrenzt. Doch sie darf nicht länger als nötig andauern und unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die U-Haft ist keine Vorverurteilung oder Strafe, sondern dient der Sicherung des Strafverfahrens. Das bedeutet: Sie soll verhindern, dass der Beschuldigte das Verfahren behindert, verzögert oder vereitelt.

 
Wenn nach sechs Monaten noch keine Anklage erhoben oder Hauptverhandlung begonnen wurde, muss demnach die U-Haft aufgehoben werden – es sei denn, es gibt besondere Gründe für die Verzögerung wie beispielsweise umfangreiche Ermittlungen, viele Beschuldigte oder internationale Rechtshilfeverfahren. Unter solchen Umständen können Personen mehrere Monate oder auch über ein Jahr in Untersuchungshaft bleiben.
 
Die Zeit in der Untersuchungshaft wird dem Inhaftierten auf eine etwaige spätere Haftstrafe voll angerechnet.